16. November 1966: Ein mahnender Strauß

16.11.2016, 07:00 Uhr
16. November 1966: Ein mahnender Strauß

© Gerardi

Der CSU-Chef erschien, leicht verspätet, aber lautstark begrüßt, im New Look vor dem Nürnberger Wahlvolk: mit neuer Frisur und ernster Miene, 14 Pfunde leichter und ruhiger im Tonfall als bei seinem letzten Auftritt. Eineinhalb Stunden lang sprach er, die Hände vor dem Bauch gefaltet, „sein staatsmännisches Wort“, wie es verhießen worden war, erst danach teilte er nach alter Straußscher Sitte gestenreich seine beliebt-berüchtigten Seitenhiebe aus.

Der Kanzlermacher, wie ihn seine Freunde nennen, oder Königsmörder, wie seine Feinde behaupten, versicherte den Tausenden im proppenvollen Haus, daß er über einen Kabinettssitz für sich weniger nachdenke als über das Wetter am nächsten Sonntag. Ihm gehe es vor allem darum, das Schiff der Union wieder mit Volldampf auf den richtigen Kurs zu bringen.

16. November 1966: Ein mahnender Strauß

© Gerardi

Fast zehn Minuten widmete Strauß der „geschichtlichen Leistung“ von Ludwig Erhard, dessen Lebensweg und Verdienste nicht nach den Schwierigkeiten und Störungen der letzten Wochen beurteilt werden sollten. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell der Chor ertönt: hängt‘s ihn auf oder holt‘s ihn wieder.“ Erhard habe viele lange Jahre in der vordersten Front eines zermürbenden Kampfes gestanden und stets eine noble und anständige Haltung gezeigt.

Eindeutig stellte sich der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende hinter den Kanzlerkandidaten Kurt Georg Kiesinger und sagte: „Ich stehe zur politischen Vergangenheit dieses Mannes!“ diese Frage gewinne offenbar desto stärker aktuelle Brisanz je weiter das Dritte Reich entfernt sei. „Mit der Methode der Schubladenschnüffelei vertreiben wir viele fähige Frauen und Männer aus der Politik, mit ihr werden aber auch junge Leute von diesem scheinbar garstigen Handwerk abgehalten“, meinte Strauß zur Kritik an dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten.

In anderen Punkten seiner Rede blieb der CSU-Chef sich selbst und dem „Bayern-Kurier“ treu. Er bezeichnete sich als Feind des Nationalismus, sprach aber ein scharfes Nein zur Dauerschuldpropaganda, „trotz der Bußpredigt, die wir nötig haben“. Er forderte auch eine neue Außenpolitik, denn „wir Europäer müssen anfangen, bei unserem Handeln für die wirtschaftliche und politische Zukunft aus der Totalabhängigkeit Amerikas herauszukommen, um es langsam wieder in eine europäische Abhängigkeit zu überführen“.

Die europäischen Staaten dürften nicht zu Entwicklungshilfekolonien von Supermächten wurden, sie müßten sich vor allem ihre wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit erhalten. „Wir Europäer benehmen uns so, als ob man ein modernes Automobil in der Reparaturwerkstatt eines mittleren Fahrradhändlers herstellen könnte, während Amerika und Rußland im Zeitalter der Weltraumfahrt Kraftwerke in Handtaschengröße entwickeln“, rief der Redner aus. Mit de Gaulle sei zwar nicht leicht umzugehen aber er ist „ein Mann, um den man nicht rum kommt“.

Sein langes wirtschaftspolitisches Kolleg leitete Strauß mit einer harten Kritik an jenen ein, die gegenwärtig von einer Krise sprechen. „Mit diesem Wort soll man das Schicksal nicht geradezu herausfordern“, mahnte er, denn einige Entwicklungsengpässe und Wachstumsstörungen dürften nicht gleich auf dem Hintergrund einer Katastrophe dargestellt werden. Als „langjähriges Ehrenmitglied des Vereins für freie Aussprache“, wie er sich selbst nannte, erinnerte Franz Josef Strauß daran, daß es derzeit in der Bundesrepublik 1,4 Millionen Gastarbeiter, 500.000 offene Stellen und 130.000 registrierte Arbeitslose gibt.

Aus den Trümmern des furchtbarsten Krieges hätten Adenauer und Erhard einen Staat aufgebaut, in dem die Arbeiter all das besitzen, was die Sozialreformer des 19. Jahrhunderts für sie angestrebt hätten. „Heute und in den nächsten Jahren geht es aber nicht darum, die Forderung nach höheren Löhnen und Gehältern und nach kürzerer Arbeitszeit weiter zu erheben, sondern Quantität und Qualität der Arbeitsleitung zu steigern um die Kosten in einem erträgliche Maße zu gestalten, um die Sicherheit unserer Arbeitsplätze zu garantieren“, erklärte der vielbeschäftigte Wahlkampfredner.

In den nächsten Jahren müsse erst für das Lebenswichtige gesorgt werden, ehe an das Wünschenswerte zu denken sei. „Wir dürfen nicht das Geld verprassen, das angelegt werden muß, damit sich unsere Kinder und Kindeskinder im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf behaupten können“, sagte Strauß unter großem Beifall. Es sei einfach ein Unding, wenn ein Mann mit einem jährlichen Einkommen von 30.000 Mark vom Staat auch noch sozialpolitische Geschenke erhält.

Solchen mahnenden Worten ließ der Parteichef jene Äußerungen folgen, die seine Freunde so sehr an ihm schätzen. Er nannte den Austritt der FDP-Minister aus dem Erhard-Kabinett „Fallum 1966“ und verabschiedete sich mit den Worten: „Für den Fall einer SPD/FDP-Koalition im Bunde wünsche ich der FDP viel Glück, der SPD aber noch viel mehr Glück!“

Der Beifall seiner Anhänger bei solchen Bemerkungen mag es Franz Josef Strauß gezeigt haben, daß sie ihn am liebsten mit symbolisch aufgekrempelten Hemdsärmeln sehen mögen.

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