16. September 1966: TÜV-Plaketten – keine Gütesiegel

16.9.2016, 07:00 Uhr
Auch am "Bauch" des Wagens können nur die sichtbaren Teile untersucht werden. Ob die Kurbelwelle bald in Stücke bricht oder anderntags das Blinkrelais ausfällt, bleibt dem TÜV verborgen.

© Gerardi Auch am "Bauch" des Wagens können nur die sichtbaren Teile untersucht werden. Ob die Kurbelwelle bald in Stücke bricht oder anderntags das Blinkrelais ausfällt, bleibt dem TÜV verborgen.

Oberingenieur Fritz Berchtold vom TÜV Nürnberg will damit solche Autofahrer warnen, die nach einer reibungslos verlaufenen Untersuchung annehmen, sie säßen jetzt am Steuer eines auf Herz und Nieren geprüften und für technisch einwandfrei gefundenen Wagens, mit dem sie während der nächsten Zeit sorglos durch das Land kutschieren können.

Diese Meinung war sogar noch bestärkt worden, als nach der Verurteilung eines verunglückten Frankfurters der Technische Überwachungsverein attackiert worden war: zwei Monate vor dem Unfall war das Auto als verkehrssicher erklärt worden.

Der Unfallwagen war jedoch bereits 15 Jahre alt. 400 DM hatte der Kaufpreis betragen. Bei der ersten Untersuchung hatten die Ingenieure "nein" gesagt. Erst im zweiten Anlauf klebten sie die Plakette auf. Nach dem Unfall – das Wrack war vom Technischen Überwachungsamt Frankfurt soweit hergerichtet worden, daß Sachverständige urteilen konnten – stellte sich dann heraus: der Veteran wies leichtere Mängel auf, war aber verkehrssicher gewesen. Der Unfall mußte andere Gründe haben.

Dabei wissen die TÜV-Ingenieure selbst, daß auch ihnen einmal ein Fehler unterlaufen kann. Aber sie wehren sich gegen die Generalangriffe. "Jährlich werden Millionen Autos untersucht. Selbst wenn einige samt der Mängel durchschlüpfen, kann man doch die Untersuchungen nicht in Bausch und Bogen abtun", meint Fritz Berchtold, der einen Vergleich aus der Medizin ins Feld führt. "Auch einem Arzt könnte einmal eine falsche Diagnose unterlaufen. Aber es wäre doch töricht, deswegen zu sagen, alle Ärzte wären Pfuscher."

Abgesehen von der kleinen Chance, daß ein gebrechliches Vehikel einmal durchrutscht, trägt die TÜV-Untersuchung einen ganz anderen Charakter als ein bis ins letzte Schräubchen gehender Test. "Wir richten unser Augenmerk auf die Wirkung und Funktion eines Autos", erklärt der Oberingenieur und meint dabei nichts anderes: die Ingenieure – in Nürnberg mit modernen Geräten ausgerüstet – stellen fest, ob die Bremse wirkt, die Scheinwerfer und Blinker funktionieren und die Lenkung nicht zu viel Spiel hat.

"Wollen uns übers Ohr hauen"

Wer aber sagt, daß die Bremsbeläge ein paar Wochen später völlig abgenutzt sind? Dem forschenden Auge bleiben Haarrisse verborgen, und selbst der beste Ingenieur kann einem Blinkrelais nicht ansehen, ob es nicht schon einen Tag später seinen Geist aufgibt. Der Mann in der Untersuchungsgrube kann zwar blinde Scheinwerferspiegel beanstanden und – soweit sie sichtbar sind – angerostete Bremsleitungen entdecken, aber er kann in das Fahrzeug nicht hineinkriechen. "Schließlich dürfen wir das Auto ja nicht zerlegen. Eine Reihenuntersuchung für acht DM kann nicht auf Herz und Nieren gehen", versichert Fritz Berchtold.

"Es gibt einige wenige unseriöse Firmen, die versuchen, uns übers Ohr zu hauen. Sie bringen die Autos mit guten Rädern, einwandfreien Hupen und Scheinwerfern, um nach der Prüfung die alten Teile wieder einzubauen", erzählt er. In München war sogar einmal eine ganze Vorderachse extra für den TÜV-Besuch ausgetauscht worden. Schon allein aus diesem Grund ist die Plakette kein Gütesiegel. Sie enthebt die Autofahrer nicht der Sorge um die Verkehrssicherheit ihres Autos.

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