16. September 1967: Kein Platz für das liebe Vieh

16.9.2017, 07:00 Uhr
16. September 1967: Kein Platz für das liebe Vieh

© Gerardi

Auf den Bauernhöfen übertönen tuckernde Traktoren längst die wenigen wiehernden Pferde. Gäbe es nicht den einen oder anderen alten Landwirt, der aus Liebe und Tradition an seinen vierbeinigen Arbeitsgefährten hängt, die Rösser wären längst aus dem Stadtbild verschwunden. Dies ist nur ein Zeichen dafür, daß im letzten Jahrzehnt der Tierbestand stärker abgenommen hat als in dem halben Jahrhundert vorher. Sogar für den Originaldünger aus dem eigenen Stall haben die Bauern schon Ersatz gefunden, beispielsweise Kompost oder Klärschlamm.

Der einzige Esel, den die letzte Nürnberger Statistik noch aufführt, mußte am eigenen Leib verspüren, wie hart die Zeiten für Haustiere geworden sind: er war zu störrisch, um sich nützlich machen zu können, und daher in einem Hof von Höfles nicht mehr gelitten.

16. September 1967: Kein Platz für das liebe Vieh

© Gerardi

Ein gutes Drittel des Grund und Bodens in der Stadt (4.792 Hektar oder 37 v. H.) wird von der Landwirtschaft beackert, während nur 2.710 Hektar (21 v. H.) bebaut sind oder 2.048 Hektar (16 v. H.) dem Verkehr auf der Straße und auf der Schiene dienen. Wenngleich das wachsende Häusermeer den Bauern in einem Jahrzehnt 700 Hektar entrissen hat, ist Nürnbergs Ruf als größtes Bauerndorf nicht gefährdet, denn die flurbereinigten Flächen im Knoblauchsland dürfen in den nächsten 20 Jahren nicht zweckentfremdet werden.

In fast 200 von mehr als 500 Nürnberger Höfen muht und mäht, grunzt und kräht aber nichts mehr. Gehörte das Kuhgespann früher zum Bild der Landwirtschaft, so ist es heutzutage das Glashaus. Vor allem das Knoblauchsland, das sich in einen einzigen Gemüsegarten verwandelt hat, ist arm an Vieh geworden, während in Eibach – nur ein paar Schritte von der Hauptstraße entfernt – Schweine munter ferkeln.

Die Statistik drückt in harten Zahlen aus, wie rapid sich die Städte geleert haben. Nur wenige Bauern noch befassen sich mit den Borstentieren, deren Zahl seit 1950 (damals 2.656) um mehr als 1.000 Stück abgenommen hat. In der gleichen Zeit sank die Zahl der Rinder von gut 1.800 auf knapp 1.400. Das Glück auf dem Rücken der Pferde wird immer seltener gesucht: 460 Gäule trabten noch vor 15 Jahren über Straßen und Felder, jetzt sind es nur noch 210. Zu ausgesprochenen Raritäten zählen Ziegen, die in ganz Nürnberg nur an zwei Plätzen noch etwas zu meckern haben.

16. September 1967: Kein Platz für das liebe Vieh

© Gerardi

Das liebe Federvieh hat auch schon bessere Zeiten gesehen, die schlechten Zeiten nach dem Kriege. 42.000 Hühner, Enten und Gänse durften damals kräftig futtern, um hernach ein kräftiges Futter für ihre Besitzer abzugeben, heute gackern und schnattern 14.000 und ein paar Exemplare jener Gattungen in der Gegend herum. Nur in einem Falle macht das allgemeine Viehsterben eine Ausnahme – bei den Bienenvölkern, die seit 1945 kaum nennenswerte Einbußen hinnehmen mußten. In über 1.100 Körben summt und brummt es.

„Die Stadt läßt dem Vieh kaum noch Platz“, meint Herbert Schuster, der Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Bauernverbandes in Nürnberg. Einmal sei es undenkbar, daß auf den Straßen Kühe gemütlich zur Weide zotteln, zum andern brauchen die Knoblauchsländer Bauern ihre Ställe als Lager- und Maschinenhallen. Obendrein erfordert die Tierhaltung viel Personal, wenn sie Geld einbringen soll, gerade Arbeitskräfte aber sind in der Landwirtschaft knapp.

16. September 1967: Kein Platz für das liebe Vieh

© Gerardi

Die Knoblauchsländer Bauern sind außerdem mit ihren Gewächshäusern derart beschäftigt, daß sie für einen Stall voller Viehzeug gar keine Zeit mehr haben. Je weniger Tiere in der Stadt herumlaufen, desto mehr werden sie von den Menschen beachtet. „Der Vater kommt mit seinem Pferdegespann schneller auf die Hauptstraße als ich mit dem Bulldog“, erzählt Konrad Neubauer vom Zeitenwendeplatz in Eibach. „Den lassen nämlich die Autofahrer naus!“ Trotzdem macht er keinen Hehl daraus, daß die beiden Pferde von Michel Neubauer ein reines Steckenpferd sind. Aber: „Solang‘ der Vater gesund ist, bleiben sie da!“

Aufsehen erregt auch Peter Eberlein nur ein paar Häuser weiter mit seinem Vieh. 13 Kühe und zwei Kälbchen stehen in einem Stall, im andern sehen sechs Säue Mutterfreuden entgegen. Im Freien führt ein Schwein 11 Ferkel spazieren. Die Sache, die sich so niedlich ansieht, ist freilich ein bißchen anrüchig, so daß Peter Eberlein schon Ärger mit seinen Nachbarn in den nahen Einfamilienhäusern bekommen hat. Er ist jedoch entschlossen, bei seiner Landwirtschaft zu bleiben, denn für sieben Tagwerk, die er dem künftigen Kanal opfern mußte, hat er neues Land gepachtet.

Nichts zu hören und zu sehen ist hingegen vom Federvieh, das für Hans Eberlein in der Röthenbacher Hauptstraße Eier legt. Der Bauer mußte sich einst mit einem sogenannten Vielfachbetrieb (vom Ackerbau bis zur Viehhaltung) herumschlagen, ehe ihm die Landnot auf die Idee brachte, eine Art Tierfabrik zu schaffen. In der früheren Scheune hält er gegenwärtig 2.000 Hühner in „Batterie“, bald werden es wieder 3.000 sein. Für Hans Eberlein stellt es kein Problem dar, seine Ware abzusetzen, denn 80 v. H. aller Eier werden ab Hof verkauft. Zwei Schafe sind der letzte Rest des vormals großen Tierbestandes, erfüllen aber auch noch einen guten Zweck. Sie laufen im Garten herum und „mähen“ das Gras.

Johann Sippel in Höfles darf sich zu den wenigen Knoblauchsländer Landwirten zählen, die ein paar schöne Stückchen Vieh im Stall stehen haben. 16 Rinder, 1 Kalb und etliche Schweinefamilien lassen sich von ihm durchfüttern. „In Höfles hat jeder noch a Viech“, sagt Johann Sippel; die meisten seiner Kollegen begnügen sich aber mit einer kleineren Zahl. „Ich denk jetzt nicht mehr dran, die Tierhaltungen aufzugeben, denn ich habe einen neuen Stall, in den ich das Futter nur reinzufahren und mit der Schaufel zu verteilen brauche“, meint Sippel, der freilich den Feldgemüsebau bislang ohne Gewächshaus betreibt.

Es spricht für unsere „fetten“ Jahre, wenn die Bauern nicht mehr so viel Interesse an einem vollen Stall wie früher zeigen. Die Nürnberger müssen Ziegen, geringgeschätzt die „Kuh des kleinen Mannes“ genannt, fast schon mit der Lupe suchen. Ihr Fleisch war einst begehrt, weil es angeblich der Wurst einen besseren Geschmack verleiht. Heutzutage schmeckt offenbar die Wurst auch ohne Ziegenfleisch.

Die Esel aber müssen sich offensichtlich erst zu benehmen lernen, ehe sie wieder in Gnaden aufgenommen werden.

Verwandte Themen


Keine Kommentare