17. August 1966: Riskantes Fahren lohnt sich nicht

17.8.2016, 07:00 Uhr
17. August 1966: Riskantes Fahren lohnt sich nicht

© Kammler

Dieses Ergebnis hat eindeutig die Probefahrt von zwei Wagen durch Nürnberg gezeigt. Der eine „raste“ von der Stadtgrenze bei Fürth bis Langwasser, wechselte von einer Fahrspur auf die andere, überholte rechts, bewegte sich mit seiner Geschwindigkeit ein wenig außerhalb der Legalität und huschte bei Gelblicht noch über Kreuzungen. Der andere fuhr so ordentlich, trotzdem aber zügig, daß jedem Verkehrspolizisten das Herz im Leibe hätten lachen können. Der „eilige Wagen“ kam gezählte 107 Sekunden schneller ans Ziel als seine kreuzbrave Konkurrenz. Bei einem Fahrtweg von 12,9 Kilometer ist dieser Zeitunterschied kaum die Rede wert.

Beide „Normalverbraucher-Autos“ – ein Volkswagen und ein Opel-Kadett – machten sich eines schönen Sommertages um die Mittagsstunde auf den Weg durch die Stadt. Ihre Fahrer gingen in der Absicht auf die Reise, um mit genauen Zahlen zu belegen, wer bei einer solchen Wettfahrt das bessere Ende für sich behält. Für einen Beweis aber konnte nicht allein die Zeit ausschlaggebend sein, vielmehr mußte auch der Verschleiß am Wagen und an den Nerven der Fahrer in Rechnung gestellt werden. Der nachfolgende Bericht läßt die Leser recht genau erkennen, daß man ruhig und gelassen auch ans Ziel kommt und dabei sogar noch profitiert.

17. August 1966: Riskantes Fahren lohnt sich nicht

© Kammler

Beim Ortsschild „Nürnberg“ an der Stadtgrenze bei Fürth beginnt Schlag 11 Uhr der vermeintliche Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel. Der Mann am Steuer des Volkswagens, der die Rolle des „wilden Fahrers“ übernommen hat, tritt aufs Gaspedal, als gelte es, den Großen Preis von Deutschland zu gewinnen. Schon im zweiten Gang schnellt die Tachonadel auf 60 Stundenkilometer hinauf, aber was nützt es: zuerst zockelt ein Lastzug auf der Fahrbahnmitte, dann gebietet die Ampel an der Fuchsstraße Halt. Obschon der VW die linke Fahrbahnspur einnimmt und damit den Weg für Abbieger versperrt, muß er warten, bis es am Signal grünt.

Stur auf der Vorfahrt beharrt

Der Weg durch die Fürther Straße wird zu einem einzigen Slalom, denn in jede Lücke stößt der Wagen vor. Trotz seiner überhöhten Geschwindigkeit von gelegentlich über 70 Kilometern (in solchen Fällen drückt die Polizei schon kein Auge mehr zu, sondern bittet zur Kasse) läuft er sich immer wieder fest, vor allem bei Rotlicht. Das hindert ihn freilich in der Sandstraße bei der Kreuzung mit der Zeltnerstraße nicht, bei Gelb an der Ampel vorbeizufahren, obwohl er es rechtzeitig gesehen hatte und leicht hätte bremsen können. Das „wilde Auto“ quetscht sich an einem Lastzug vorbei in den Ring, stur auf seiner Vorfahrt beharrend, und weiter geht‘s rechts und links, wo die Fahrbahn gerade Platz bietet.

Dennoch bleibt es dem VW-Fahrer nicht erspart, immer wieder Wagen neben sich auftauchen zu sehen, die er noch ein paar hundert Meter vorher auf einer anderen Spur überholt hatte und längst hinter sich glaubte. Er kann erst richtig aufdrehen,als er die Münchener Straße erreicht, mit 80 Kilometern und darüber in der grünen Welle schwimmt und die Regel „Links überholen“ mehr als einmal außer Acht läßt. 23 Minuten nach dem Start in Fürth erreicht er Nürnbergs östliche Grenze.

Der Mann am Steuer des Kadett rauft sich gleich zu Beginn der Fahrt die Haare. Schon die Ampel an der Ludwig-Quellen-Straße zeigt gelbes Licht und auf der rechten Seite macht ein schwerer Lastzug alle Anstalten, in seine Fahrspur einzuschwenken. Er beruhigt sich aber gleich wieder und denkt an seine Aufgabe, ordentlich, doch zügig durch die Stadt zu kommen. Als er deshalb an der Muggenhofer Straße beim Überwechseln auf die südliche Fürther Straße schon wieder stoppen muß, weil eine Straßenbahn herankommt, ist er bereits die Ruhe selbst.

Es macht ihn auch nicht mehr heiß, daß er noch viele Aufenthalte an Ampeln hinnehmen muß: an der Fuchsstraße und an der Maximilianstraße, an der Sielstraße und an der Zeltnerstraße, vor dem Fußgängerüberweg beim Hauptpostamt und am Marientunnel. Gelassen hält er sich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit und kann – weil er so schön im Fahrzeugstrom schwimmt – sogar in den vierten Gang schalten, der gerade noch ausreicht.

Mit seinem Beifahrer macht sich der Pilot sogar einen Spaß daraus, aufreizend langsam auf das Grünlicht zuzufahren und gespannt zu warten: „Bleibt es noch grün oder schaltet die Ampel um, noch ehe der Wagen herangekommen ist?“ Dazwischenhinein hören die beiden Testfahrer Schlagermelodien aus dem Autoradio und staunen, wie schnell sie doch durch die Stadt vorankommen, obwohl sie meist die rechte Straßenseite einhalten.

Es bleibt ihnen sogar die Zeit, einen Fußgänger über die Fahrbahn spazieren zu lassen, zehn Meter vor dem Zebrastreifen an der Einmündung der Dürrenhofstraße in die Regensburger Straße. Allerdings: vergeblich halten sie Ausschau nach dem Konkurrenten im Volkswagen. Die Hoffnung, daß sie ihn unterwegs wieder einholen, erfüllt sich nicht. Erst an der Stadtgrenze bei Langwasser sehen sie sich wieder.

Sie kommen dort eine Minute und 47 Sekunden später an als der VW-Fahrer, dem der Zeitgewinn gerade dazu verholfen hat, auf die Uhr zu schauen, eine Zigarette anzustecken und sich ein wenig zu strecken. Leicht mitgenommen ist er schon, denn er hatte 60mal schalten, 30mal bremsen und 15mal halten müssen. Der Opel-Konkurrent hingegen schaltete, weil er öfter den vierten Gang benutzen konnte, zwar 66mal, mußte jedoch nur 26mal auf die Bremse treten und zehnmal anhalten. Er hatte seinen Wagen mehr geschont, von sich selbst ganz zu schweigen.

107 Sekunden Zeitgewinn hätten den VW-Fahrer teuer zu stehen kommen können. Wäre er bei dem einen oder anderen Manöver oder bei seiner allzu schnellen Fahrt von der Polizei erwischt worden, so hätte er wohl mindestens zwei oder fünf Mark berappen müssen. Wer aber verdient schon fünf Mark in knapp zwei Minuten?

Verwandte Themen


Keine Kommentare