18. Mai 1965: Unfug in den Zellen

18.5.2015, 07:00 Uhr
18. Mai 1965: Unfug in den Zellen

© Ulrich

Das Ausmaß der ständigen Zerstörungen an den gelben Telephonbücher veranschaulicht die Jahresbilanz des Fernmeldeamtes 2 Nürnberg, das – mit Ausnahme von Erlangen – für die Münzfernsprecher im Großraum Nürnberg zuständig ist. Für die 394 Häuschen wurden im letzten Jahr 4000 Bücher benötigt.

Sicherlich verschleißt ein Buch in einer öffentlichen Fernsprechzelle schneller. Nasse und schmutzige Hände blättern darin. Manchmal reißt das Papier, weil jemand hastig nach einer Rufnummer sucht. Aber aus rätselhaften Gründen bereitet es einigen Zeitgenossen Spaß, mit den Telephonbüchern Unfug zu treiben. Sie verwenden die Seiten mit den Namenskolonnen als Notizzettel und Einwickelpapier. Oder sie nehmen die ganze Seite mit dem gewünschten Anschluß mit nach Hause. Nicht zuletzt werden viele Exemplare mutwillig zerrissen.

Es gibt in Nürnberg Fernsprechzellen, in denen ausgelegte Bücher nur einige Tage benutzt werden können. Nach den Beobachtungen der Männer vom Fernmeldeamt 2 stehen dabei die Zellen westlich der Ausgangshalle im Hauptbahnhof an der Spitze. „Da muß fast alle Tage ausgewechselt werden“, erklärten die Beamten, die die Geldkassetten in den Apparaten leeren und bei der Gelegenheit die Bücher inspizieren. Sie treten ihre Reise nie ohne einen Stapel neuer Bücher an, um die beschädigten Exemplare gleich auswechseln zu können.

Aus der Bevölkerung erhält das Amt nämlich kaum einen Hinweis. Die erste Ausrüstung der 394 Telephonzellen abgerechnet, mußten während des letzten Jahres über 3600 neue Exemplare aufgelegt werden. Das bedeutet eine Lebensdauer von rund sechs Wochen je Buch. Bei einem Herstellungspreis von 10,70 DM mußte die Deutsche Bundespost allein im Bereich des Fernmeldeamtes 2 Nürnberg also rund 38 500 DM zusätzlich ausgeben, um ihren Kunden ständig ordentliche Fernsprechbücher in den Fernsprechzellen anbieten zu können.

Dabei wird kaum einer der Übeltäter erwischt. Nur in Norddeutschland wurde kürzlich ein Fall von „Telephonbuch-Beschädigung“ bekannt. Das Amtsgericht Kiel verurteilte einen jungen Mann zu einer Geldstrafe von 50 DM, weil er in einer öffentlichen Fernsprechzelle eine Seite des Buches zum privaten Gebrauch herausgerissen hatte. Seine Entschuldigung, er habe für einen Freund in der Fernsprechzelle einen Notizzettel benötigt, ließ das Gericht nicht gelten. Schließlich hätte gerade auf dieser Seite die Rufnummer eines Arztes stehen können, die später ein Hilfesuchender dringend benötigt hätte.

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