18. März 1966: Kleine Stilkunde im Puppenhaus

18.3.2016, 07:00 Uhr
18. März 1966: Kleine Stilkunde im Puppenhaus

© Gerardi

Gute Lehre – aber in einem anderen Sinn – geben die Puppenhäuser noch heute. Sollten sie damals die künftigen Hausfrauen anschaulich auf ihr Wirken in den eigenen vier Wänden vorbereiten, sind sie jetzt schöne Beispiele für das häusliche Leben unserer Altvorderen.

In der Spielzeug-Ausstellung der Fränkischen Galerie sind einige reizvolle Exemplare aufgebaut mit allem, was einst ihre Küchen, Kammern und Salons anfüllte. Ein Blick in ihre kleine Welt ist zugleich ein Rückblick auf eine illustrierte Kultur- und Sittengeschichte von 1800 bis 1957.

18. März 1966: Kleine Stilkunde im Puppenhaus

© Gerardi

Neben dem Mobiliar, meist aus soliden Hölzern von Meisterhand gearbeitet, sind es vor allem die Nippes-Sachen, die eine Epoche charakterisieren. Denn so teuer auch damals ein Puppenhaus gewesen ist, Geld spielte dennoch keine Rolle angesichts des lehrhaften Zweckes. Es sind lange Zeit hindurch ausschließlich die Töchter begüterter Familien gewesen, die ein solches Haus geschenkt bekamen. Im Hinblick auf ihre „Verwendungsart“ – keineswegs ein reines Spielzeug für Regentage, sondern ernsthafte Vorbereitung auf die vielfältigen Pflichten einer Hausherrin – überreichte man die kostbare Gabe auch erst im heiratsfähigen Alter an die jungen Mädchen. Nur deshalb sind die Puppenhäuser so vorzüglich erhalten – sie waren eben nicht zum Spielen da.

Das älteste Puppenhaus in der Ausstellung stammt aus dem Jahre 1880 und zeigt die Unsicherheit, mit der damalige Baumeister bereits überlebte Stile nachahmten. Eigenes kannte man kaum, vielmehr wurden charakteristische Merkmale verschiedener Epochen gemischt. Unser Beispiel weist Dreiecksgiebel über den Fenstern auf, wie sie der italienische Barock liebte, aber sie stehen hier auf Stelzen und wirken deshalb grob und unecht. Das nächste, verhältnismäßig hohe und geräumige Haus wurde um 1910 von einem Fürther Schreinermeister in Handarbeit hergestellt. Es ist eine der typischen großbürgerlichen Villen im späten Jugendstil, der sich hier wiederum keineswegs rein präsentiert. Erker, Balkone, hohe Fenster mit zahlreichen kleinen Scheiben, drinnen Einlegarbeiten an den Möbeln, auf dem Parkett, Borte auf den hochlehnigen Sofas und Friese als Abschluß der Tapete – hätte der Bombenhagel des letzten Krieges nicht fast alle Bauten dieser Zeit zerstört, unsere Städte wären voll von ihnen.

Das Badezimmer aber reizt zum Lachen: neben einem Spiegeltisch und einer Bank mit jugendstilgeschweifter Lehne findet sich dort auch die schlichte Zinkwanne, in der die Familie allsamstäglich ihr Badefest feierte. Hochmodern und letzter Schrei fortschreitender Technik ist der Hahn an der Wand, aus dem das Wasser kommt.

Altdeutsch nachempfundene Holzschnitzkunst an Tischen, Stühlen und Konsolen, Markartsträuße in stilisierten Vasen, Waschtische – gut deutsch „Waschlavoir“ genannt – Nierentisch und Tütenlampe, Samtraffgardine und Vogelbauer auf dem Sekretär, Kanapee aus rotem Plüsch und Erker mit bunt gefärbten Scheiben: all die Stile, die sich seit Beginn des vorigen Jahrhunderts an Häusern und Möbeln offenbart haben, sind in der Ausstellung auf gedrängtem Raum im Kleinformat zu betrachten.

Die Frage, ob dieser oder jener Stil „schön“ war oder nicht, stellt sich hierbei gar nicht. Die Puppenhäuser und Puppenstuben, die Küchen voll Zinn und Kupfer, die Wohnküchen späterer Zeiten, angefüllt mit Möbeln in „Gelsenkirchener Barock“ sind ein Stück Kulturgeschichte, Zeugnisse menschlicher Betätigung, und deshalb sehenswert. Daß die Ausstellung ihre berechtigte Anerkennung gefunden hat, zeigen ihre Besucherzahlen: heute, in der vierten Woche, sind bereits 8.300 große und kleine Spielzeugliebhaber gekommen.

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