19. Juli 1965: Nürnberg: Kanzler attackiert die SPD

19.7.2015, 07:00 Uhr
19. Juli 1965: Nürnberg: Kanzler attackiert die SPD

© Ulrich

In seiner Rede, die gleichzeitig Höhepunkt und Abschluß des Parteitages war, warf Bundeskanzler Erhard den Sozialdemokraten „Opportunismus, nicht zu überbietende Phantasielosigkeit und kindischen Nachahmungstrieb“ vor. Unter tosendem Beifall rief Erhard: „Herr Brandl kann Wechsel ausstellen soviel er will, die gehen alle zu Protest. Wir dagegen werden unsere Wechsel auch einlösen.“

In wirtschaftlichen Fragen warf Erhard der SPD vor, „den politischen Irrtum in Erbpacht genommen“ zu haben. Die Sozialdemokratie gefalle sich gegenwärtig darin, „in Chaos zu machen“. Die SPD spreche vom Finanzchaos, vom Wirtschaftschaos, vom Verkehrschaos und anderen. Erhard sagte: „Nehmen wir mal die SPD nicht so ernst. Bei ihr gäbe es kein Verkehrschaos, weil es nur die Hälfte Autos gäbe.“ Im übrigen habe die SPD bei ihren Ausgabenanträgen alle Rekorde geschlagen. Erhard sagte, die Opposition solle aufpassen, daß ihr Konzept einer sozialistischen Marktwirtschaft nicht in das einer sozialistischen Marx-Wirtschaft umschlage. Daß sich die SPD als eine Volkspartei betrachte, sei „Tünche“, sagte Erhard. Er wandte sich gegen die „bei vielen Wählern breit werdende Gesinnung“, man soll die Opposition doch einmal an die Regierung lassen. Er könne nicht verstehen, wie man all das bisher Geschaffene derartig leichtfertig aufs Spiel zu setzen bereit sei. „Mich werden Sie kampfbereit finden“, erklärte der Bundeskanzler.

Widerspruch

Vorsichtig, aber doch in der Sache eindeutig, distanzierte sich der Kanzler von Franz Josef Strauß, der am Ende seiner Rede vorher angedeutet hatte, man müsse die Tür auch für eine Große Koalition nach den Wahlen offenhalten. Der Kanzler sagte, durch eine „Proporzdemokratie“ gehe die Demokratie zugrunde.

Freilich hatte auch Strauß die SPD wegen ihrer allgemein politischen und wirtschaftlichen Konzeption angegriffen und gesagt, eine in der Wahl erfolgreiche SPD würde auf die Dauer „doch wieder der sozialistischen Erbsünde“ unterliegen und den „alten planwirtschaftlichen Adam“ wieder hervorkehren. Die Bewältigung der Parteivergangenheit sei der SPD nicht ganz gelungen. Strauß bezog in seine Kritik auch die FDP ein. Er rügte vor allem die Forderung von Vizekanzler Mende nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den kommunistischen Ländern Osteuropas, was zu einer Verwirrung der öffentlichen Meinung im In- und Ausland über die Ziele der deutschen Regierungspolitik führen müsse. In gewissen Kreisen der FDP, „die unter immer stärker werdenden Einfluß von Linksreaktionären und politisch heimatlosen Rechten geraten sind“, nähere man sich heute gefährlich den sowjetischen Vorstellungen von der Konföderation zweier deutscher Staaten.

Ferner sprach sich Strauß für eine koordinierte westeuropäische Politik gegenüber den Ostblockstaaten, durch die politische Alleingänge ausgeschlossen werden sollten sowie für eine gemeinsame Osthandelspolitik der EWG aus. Zur Reform der NATO sagte Strauß, die Bundesregierung solle gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern Vorschläge für eine Reorganisation erarbeiten, in deren Mittelpunkt die Umwandlung der heutigen NATO in ein Partnerschaftsbündnis zwischen Nordamerika und der mit Billigung und Hilfe der USA ins Leben zu rufenden europäischen Verteidungsgemeinschaft mit eigenem Atompotential stehen sollte.

„In aller Schärfe“

Kaum eine Stunde nach Erhards Rede nahm der SPD-Vorstand zu dem die Sozialdemokraten betreffenden Teil der Erklärungen Erhards Stellung. Ohne sich „mit seinen Schimpfereien im einzelnen auseinandersetzen“ zu wollen, widersprach die SPD „in aller Schärfe“ der Feststellung Erhards, die SPD habe in Bezug auf die Ausgabenanträge alle Rekorde geschlagen. Die SPD habe in den letzten Tagen nachgewiesen, hieß es in der Stellungnahme, daß sie aus Verantwortungsbewußtsein Anträge mit einem Gesamtvolumen von 2,6 Milliarden DM zurückgezogen habe. Die von Erhard geführte Koalition habe nicht einen einzigen Antrag zurückgezogen.

„Alles andere als Hans Sachs“

Mit Anspielung auf die Meistersingerhalle, in der die CSU-Tagung stattfand, erklärte die SPD, Ludwig Erhard sei „alles andere als ein Hans Sachs“ und könne „viel eher mit dem Bürgermeister von Saardam (aus Zar und Zimmermann) verglichen werden“. Käte Strobel ergänzte: „Das Bild der gähnenden Leere, das die Meistersingerhalle am ersten Tag der Landesversammlung bot, ist für den gegenwärtigen Zustand der CSU kennzeichnend.

In einem seltsamen Kontrast dazu hätten die Selbstherrlichkeit und Selbstzufriedenheit gestanden, die in den Reden von Strauße und Erhard zum Ausdruck gekommen seien. Der Kanzler habe es zu einer wahren Meisterschaft darin gebracht, sachliche Argumente durch Hinein- und Weiterleiten zu ersetzen. Zu den gegenwärtigen Aufgaben der deutschen Politik habe er nur Gemeinplätze anzubieten.“

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