19. Mai 1966: Der Minister gewinnt die Wette

19.5.2016, 07:00 Uhr
19. Mai 1966: Der Minister gewinnt die Wette

© NN

Der Vorsitzende der CSU-Stadtratsfraktion hatte bezweifelt, daß 100 Briefe pünktlich vormittags in Fürth ankommen, wenn sie am Spätnachmittag vorher in Nürnberg aufgegeben werden – und war eingegangen wie eine Primel. Der Bundespostminister schien bei dieser Wette seiner Sache von Anfang an ziemlich sicher: er wollte für jeden verspäteten Brief eine Flasche Wein berappen, hoffte wohl aber insgeheim auf die Zuverlässigkeit seiner Leute.

Zu Unrecht angeschossen

Die Geschichte begann Anfang Februar beim CSU-Ball in der Meistersingerhalle, als Dr. Oscar Schneider seinen Tischnachbarn Stücklen ein wenig zu frozzeln versuchte. „Hör mer auf mit deiner Post“, sagte da der Nürnberger Fraktionschef zu dem Bonner Minister, „ein Brief kommt in Fürth oft erst später an als in München oder Hamburg!“ Richard Stücklen, der gerade mit Bravour und Küssen an der Prinzengarde vorbeidefiliert war, fühlte sich und seine Post zu Unrecht angeschossen.

Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, bot Stücklen dem nörgelnden Schneider eine Wette an, bei der die Probe aufs Exempel gemacht werden sollte. „Du schickst 100 Briefe nach Fürth, ich bezahle für jeden verspäteten eine Flasche Wein“, offerierte der Minister. Schneider setzte dagegen eine Flasche Wein für jedes zehnte pünktlich eintreffende Schreiben. Ein Handschlag bekräftigte den Handel, den – so wurde an Ort und Stelle beschlossen – die „Nürnberger Nachrichten“ überwachen sollten.

Die Kommunalwahl im März ließ dem Stadtrat Schneider zunächst keine Zeit für derlei Scherze, und auch Minister haben manchmal andere Sorgen, als an Wetten zu denken. Aber Anfangs Mai drängten die NN darauf, endlich zu erfahren, ob Stücklen oder Schneider recht behalten, ob also auch in diesem Falle der Ober den Unter stechen sollte. Der Nürnberger CSU-Fraktionsvorsitzende entwarf ein Briefchen artigen und liebenswürdigen Inhalts, das für zehn Vertrauensleute bestimmt war, die von den „Fürther Nachrichten“ ausgewählt und auf die gewissenhafte Angabe von Ankunftszeit beinahe eingeschworen worden sind.

Heute vor genau einer Woche wanderten die 100 Briefe mit dem harmlosen Absender Dr. Oscar Schneider, Nürnberg, Poppenreuther Straße 8, zwischen 17 und 19 Uhr an allen Ecken und Enden der Stadt in die Briefkästen. Der CSU-Fraktionschef selbst durfte ein Exemplar – und auch das nur unter den Argusaugen der „NN“ – einwerfen. Die übrige Arbeit übernahmen vier Redakteure unserer Zeitung mit dem festen Vorsatz, es der Post nicht leicht zu machen. Sie schwärmten in alle Himmelsrichtungen aus, suchten versteckte Briefkästen und stellten, wovon noch zu hören sein wird, sogar einige kleine Fallen.

Einer unserer „Briefträger“ entledigte sich seiner Aufgabe auf der Strecke Marienplatz, Äußere Bayreuther Straße, Buchenbühl, Flughafen, Lohe, Almoshof, Thon und Bucher Straße; ein anderer fuhr über die Flaschenhofstraße, Dürrenhofstraße, Zabo, Langwasser, Neuselsbrunn, Parkwohnanlage Zollhaus, Parsifalstraße zum Keßlerplatz; ein dritter nahm den Weg über den Rathenauplatz die Sulzbacher Straße hinaus nach Erlenstegen, Laufamholz und zurück durch die Ostendstraße; ein vierter schließlich graste die Briefkästen in der Innenstadt ab.

Zwei Briefe in jeden Kasten

In jeden der gelbgestrichenen Kästen wurden zwei Briefe versenkt, die jedoch an verschiedene Empfänger in Fürth gerichtet waren. In der Dürrenhofstraße suchten wir uns einen Kasten aus, der an einem Haus mitten in einer Baustelle hängt – mit dem geheimen Hintergedanken, der Mann vom Abholdienst könne ein wenig zu faul sein, am Abend noch zu Fuß zu gehen. Einer der Briefe wurde gar am Bahnhof in den Streckenkasten „Würzburg“ geworfen, also auf eine lange Reise zu einem nahen Ziel geschickt. Bundespostminster Stücklen saß dieweilen in Bonn und hatte keine Ahnung, wann die Briefe abgeschickt wurden; wir wollten damit verhindern, daß er seine Nürnberger Mannen auf Vordermann bringt.

Am nächsten Morgen machten alle Beteiligten an dieser Wette große Augen. Schon zeitig kamen die ersten Anrufe aus Fürth mit der Nachricht, daß an vier der zehn Adressen (wiederum in verschiedenen Stadtteilen), die Post zur rechten zeit eingetroffen war. Obwohl die Schneiderschen Schreiben bei den übrigen Empfängern erst noch eingeholt werden mußten, gab sich Richard Stücklen bei einem Telephonat schon recht siegessicher, als er sagte: „Alle müssen da sein!“

Am Abend bestand kein Zweifel mehr, daß der Nürnberger CSU-Fraktionschef sein Bankkonto erleichtern und seine „Weinquelle“ sprudeln lassen mußte. „Es hätte mich schon g'scheit geärgert, wenn ein oder zwei Briefe auf der Strecke geblieben wären“, erklärte der Bundespostminister in einem Schlußkommentar zum glücklichen Ausgang der Wette, die ihm vielleicht doch ein wenig im Magen gelegen war.

Einen guten Wein verdient

Neidlos, ja sogar stolz auf den tüchtigen Minister in den eigenen Parteireihen erkannte Dr. Oscar Schneider an, daß er verloren hatte, was ihm ansonsten recht schwer fällt. Ihm war die Erkenntnis, daß es bei der Post doch schnell geht, zehn Flaschen „1959er Schloß Eltz“ aus der Gräflich Eltzschen Gutsverwaltung im Eltville wert.

„Diese gute (hundertprozentige) Leistung hat einen guten Wein verdient“, meinte der Bundespostminister, als er gestern nachmittag den Preis in flüssiger Form überreicht bekam. „Ich freue mich, daß es gelungen ist, das Pauschalurteil über angeblich zu lange Laufzeiten bei der Post durch einen einwandfreien Test zu entkräften, und daß ich mich in der Zuverlässigkeit der Nürnberger Mitarbeiter nicht getäuscht habe“, sagte Richard Stücklen in bester Laune. Die Wette stelle eine Anregung dar, solche Versuche bei allen Oberpostdirektionen und in größeren Orten zusammen mit den Industrie- und Handelskammern und den Verbraucherorganisationen zu unternehmen; sie könnten Ergebnisse liefern, „mit denen wir objektiv etwas anfangen können“.

Der überzeugende Beweis für die Arbeit der Post ließ die Brust des Ministers zwar offensichtlich mit Stolz anschwellen, bescheiden jedoch erklärte er: „Ich bin nicht so vermessen, die Post nun für unfehlbar zu halten. Aber Fehler werden schließlich überall gemacht!“

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