19. November 1966: Der geheilte Rochus

19.11.2016, 07:00 Uhr
19. November 1966: Der geheilte Rochus

© Gerardi

Zehn lange Monate mußte Restaurator Eike Oellermann in mühevoller Filigranarbeit die Malereien an dem wertvollen Altarwerk beinahe Zentimeter um Zentimeter von Blasen und Schollen befreien. Pfarrer Johannes Viebig stellte gestern das alte Schmuckstück eines unbekannten Meisters in seinem neuen Glanz mit den Worten vor: „Wir wollen einen Eindruck davon geben, was in der Stille geleistet wird“ – einen Eindruck von dem vielfältigen und kostspieligen Ringen, die Schätze von St. Lorenz zu erhalten.

Es ist kein Zufall, daß Peter Imhoff als erster Nürnberger dem heiligen Rochus einen eindrucksvollen Altar stiftete, der etwa um 1490 geweiht worden sein soll. Während des Mittelalters und noch bis in das 18. Jahrhundert hinein ist die Stadt wiederholt von der Pest heimgesucht worden. Ihre Bürger standen – wie die hohe Zahl von 13.000 Opfern im Jahre 1437 beweist – dieser Seuche hilflos gegenüber. In St. Rochus erblickten sie einen hilfreichen Fürsprecher, der als einer der populärsten Heiligen galt.

Zu diesem Ruf war Rochus, als einziges Kind eines reichen Ehepaares 1295 in Montpellier (Frankreich) geboren, durch seine noble menschliche Haltung gelangt. Beim Tode seiner Eltern verschenkte der 20jährige sein Erbe an die Armen, kleidete sich in ein Pilgergewand, zog nach Rom und Piacenza, um den Pestkranken zu helfen, bis er selbst, von der Seuche befallen, der Stadt verwiesen wurde.

Bei seiner Rückkehr nach Montpellier wurde er als vermeintlicher Spion eingekerkert und erst nach seinem Tode (1327) als wohltätiger früherer Bürger erkannt. Die Reliquien des St. Rochus kamen 1485 nach Venedig, das mit Nürnberg in engen Wirtschaftsbeziehungen stand, so daß auf diesem Wege Kunde von dem Pestheiligen in die Freie Reichsstadt gelangt sein mag.

Kunsthistorisch erweist sich der Altar als bedeutsam, weil an ihm ein vorsichtiger Wandel in der Nürnberger Bildhauerkunst sichtbar wird: unter einem Baldachin steht der heilige Rochus als Pilger gekleidet und zeigt dem Engel neben ihm, der Heilung verkündet, die Pestwunde auf seinem rechten Oberschenkel. In dieser Szene bilden die beiden Skulpturen eine ausdrucksvolle Gruppe zusammen, womit das bisher gepflegte Schema durchbrochen wird, verschiedene Heilige ohne äußere Beziehung zueinander in einem Altar zu vereinen. An den Feiertagsseiten der zweiteiligen Flügel sind acht Szenen aus dem Leben von St. Rochus dargestellt.

Als die Figuren und Fichtenholztafeln während des Krieges im Kunstbunker lagerten, da schlich sich in den feuchten, ungelüfteten Räumen der Schimmelpilz in sie ein. Eine Restauration im Jahre 1947 konnte nur vorübergehend verhindern, daß der Pilz die Farben „abblättern“ ließ und damit das ganze Kunstwerk bedrohte. Der 26jährige Restaurator Eike Oellermann, der sich in der Staatlichen Schlösserverwaltung Berlin sowie in den Landesämtern für Denkmalspflege in Bonn und München das Rüstzeug für seinen Beruf geholt hatte, mußte nun die Malereien retten, sollten sie nicht für immer verloren sein.

Er nahm sich an den Bildtafeln jeweils kleine Ausschnitte von sechs mal sechs Zentimetern vor und trug mit dem Pinsel vorsichtig Wachs auf, das unter der Wärme eines Infrarot-Strahlers eindrang und die Blasen niederlegte, also die bemalten Flächen wieder mit dem hölzernen Bildträger verband. Bei den Figuren mußte er statt des Wachses, das zu dunklen Stellen geführt hätte, Leim mit einer Injektionsspritze einführen, um das gleiche Ziel zu erreichen. Nach zehn Monaten hatte er die Farbenpracht des Altars vor dem Verfall bewahrt. Die Gemeinde St. Lorenz aber mußte für dieses einzige, wenn auch augenfällige und interessante Objekt 13.600 DM aufwenden.

Sie ist deshalb dankbar, daß kunstsinnige Besucher ihres Gotteshauses solche Mühe und Aufwand zu lohnen wissen. Seit das vielfach kritisierte Eintrittsgeld von 30 Pfennig weggefallen ist, finden sich viele Spenden in den Opferstöcken. War ursprünglich befürchtet worden, daß nur noch ein Viertel des Eintrittsgeldes auf diese Art ersetzt werden könnte, so sind es nun doch nahezu drei Viertel. Pfarrer Viebig fühlt sich nachträglich in seinem Schritt bestätigt und meint: „Wir sind angenehm enttäuscht.“

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