19. September 1966: 1.500 Kündigungen

19.9.2016, 07:00 Uhr
19. September 1966: 1.500 Kündigungen

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Die Zahl von 1.500 ist bei weitem nicht vollständig, denn die städtischen Behörden erfahren nur von jenen Kündigungsfällen, in denen die Betroffenen aus eigener Kraft keine neue Wohnung finden. Sozialreferent Dr. Max Thoma sieht nur einen Weg, diesen Menschen zu helfen: "Der soziale Wohnungsbau muß im bisherigen Stil vorangetrieben werden!"

In seinem Bericht vor dem Wohlfahrtsausschuß des Stadtrats vertrat der Referent noch einmal nachhaltig die Meinung, daß es besser gewesen wäre, Nürnberg erst später in einen "weißen Kreis" umzuwandeln. Ein Jahr danach bestehe zwar kein Grund, die Verhältnisse zu dramatisieren (die Zahl der Kündigungen macht bei 170.000 Normalwohnungen nur ein Prozent aus), aber man dürfe sie auch nicht bagatellisieren. Schließlich habe die jüngste Vergangenheit erschreckende Beispiele dafür geboten, wie Hausbesitzer die moralischen Grenzen weit überschritten und in dem Gesetz zur Aufhebung der Wohnungszwangswirtschaft einen Freibrief zu sehen schienen.

Als solch "bedauerliche Einzelerscheinungen" wertete es Dr. Thoma, daß ein Hausbesitzer seine deutschen Mieter auf die Straße setzen wollte, um Gastarbeiter für höhere Miete unterbringen zu können, daß ein anderer wegen einer lukrativen Einnahme das Haus freimachte, um Damen eines sonderbaren Gewerbes Unterschlupf zu bieten und daß ein dritter schließlich sieben deutschen Familien kündigte, einen Amerikaner jedoch in dem Gebäude beließ, weil er offenbar besser bezahlte. Gegen solche Vorfälle kann die Behörde vorgehen, wie gegen ungerechtfertigte Mieterhöhungen, die oft fast schon an Wucher grenzen.

"Wir sind mit viel Optimismus und Elan gegen übertriebene Mieterhöhungen vorgegangen, aber kläglich gescheitert", erklärte der Referent mit einem Hinweis darauf, daß von hundert Fällen nur ein einziger übrig geblieben sei, in dem eine Buße auferlegt und damit eine Lektion erteilt werden konnte. Die Mieter selbst müßten im Ernstfall immer wieder erkennen, daß es bei Kündigungen zu 99,5 v. H. keine wirksamen Schutz gibt, die Wohnung zu erhalten. Die meisten von ihnen könnten einen Rechtsstreit weder finanziell noch nervlich durchstehen. Schließlich handle es sich zu 11 v. H. um alte Leute, zu zehn v. H. um Kinderreiche und zu 36 v. H. um junge Ehepaare.

Hoffnungen liegen auf sozialen Wohnungsbau

"So viele Klagen und Tränen wie seit jener Zeit, in der Nürnberg weißer Kreis ist, habe ich seit 1945 nicht mehr erlebt", meinte Bürgermeister Franz Haas als Vorsitzender des Ausschusses. Es sei längst noch nicht alles so in bester Ordnung, wie dies gelegentlich hingestellt werde. "Die Not der Gekündigten wird erst deutlich, wenn die Frist abgelaufen ist und die Wohnung geräumt werden muß!" Dr. Max Thoma erklärte ebenfalls, daß erst in ein bis zwei Jahren erkennbar sein werde, ob das Problem gelöst werden kann.

Bis dahin gelte es, die ganze Hoffnung auf den sozialen Wohnungsbau zu setzen, der allein Notstände beseitigen helfen könne. Ein allzu übertriebener Optimismus werde freilich gedämpft, weil es gerade in diesen Tagen immer unsicherer erscheint, inwieweit der Bund und das Land Bayern für diese Aufgaben künftig noch Zuschüsse geben können.

Als Sprecher der SPD erzählte Hans Batz von einem Fall, in dem einem gekündigten Mann seine Wohnung von einem Makler wieder angeboten worden sei, allerdings doppelt so teuer. "Für mich ist das ein neuer Beweis dafür, daß der Wohnungsmarkt in der Stadt um einige Jahre zu früh freigegeben worden ist", meint Batz. "Keinen Anlaß zur Panik", sah hingegen Erich Wildner (CSU), denn die Stadt verschaffe sich mit ihren Förderungsmitteln die Möglichkeit, 800 bis 1.000 Wohnungen jährlich zu belegen.

Damit müßte es möglich sein, alle gekündigten Familien unterzubringen. Für die FDP forderte Hermann Wiesel die Verwaltung auf, ihr besonderes Augenmerk sozialen Härtefällen zu widmen. "Wir sind weder ahnungs- noch herzlos", versicherte Sozialreferent Dr. Thoma. Wenn er das Thema des "weißen Kreises" überhaupt aufgegriffen habe, so aus einem ganz einfachen Grund: "Wir müssen schließlich erkennen, wo uns der Schuh drückt!" Es bleibe unbestritten, daß noch eine überaus große Not herrscht.

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