2. April 1966: Gesucht: der freundlichste Polizist

2.4.2016, 07:00 Uhr
2. April 1966: Gesucht: der freundlichste Polizist

© Ulrich

Die gebührenpflichtigen Verwarnungen stellen eine stete Quelle des Ärgernisses dar. Wenn die Stadt Nürnberg ihren Haushaltsplan beschließt und dabei von vornherein 470.000 Mark als „Verwarnungs-Ernte“ für 1966 erwartet, so entsteht bei den Kraftfahrern zwangsläufig oft der Eindruck, daß er geschröpft werden soll. Er sieht in den Polizeibeamten dann nur noch kleinliche Parkplatzwächter, die es darauf abgesehen haben, ihm Zettel an die Windschutzscheibe zu heften. Die Polizei selbst ist über diese Rolle auch nicht sehr glücklich, denn sie glaubt, andere und wichtigere Aufgaben erfüllen zu müssen.

„Was soll erst geschehen, wenn die Verwarnungsgebühr – wie geplant – auf zehn und zwanzig Mark heraufgesetzt wird?“ fragt besorgt ein leitender Beamter des Präsidiums. Er ist sich dabei wohl bewußt, daß nicht alle seine Mannen stets so höflich zur Kasse bitten, wie dies wünschenswert erschiene. Aber auch nicht alle Kraftfahrer gebärden sich lammfromm. Dem Streit auf der Straße folgt in vielen Fällen jedoch ein friedliches Gespräch in den Revieren, bei dem beide Seiten ein wenig zurückstecken. Trotzdem bleibt der Polizei das ungute Gefühl, daß es um ihre Rolle als „Freund und Helfer“ in den Augen der Öffentlichkeit oft schlecht bestellt ist.

Dafür sprechen auch jene Berge von Beschwerdebriefen, gegen die sich der Stoß von Dankschreiben ein wenig mager ausnimmt. Da beklagt sich ein Kraftfahrer über den „unmöglichen“ Jargon eines Polizeimeisters, dort mißfällt einem Fräulein die „unpassende Frage“ im Hiselschen Tonfall: „Wie viele Kinder hammer denn?“

Sensible Autofahrer

Von auswärts berichtet ein Autofahrer, der am Plärrer bei Rot über die Kreuzung gefahren war: „In diesem Moment sprang ein Verkehrsschutzmann an meinen Pkw und rief mir zu: ‚He! Haben Sie keine Augen im Kopf? Sind Sie farbenblind?’ Dieser Brüllton in alter Kasernenhofmanier war für mich verletzend und unverständlich. Ich bin selbst Beamter und werde oft über den Umgang mit dem Publikum unterwiesen. Dieser Schutzmann hätte bei der vorliegenden Situation in meinem Falle ohne besondere Geisteserleuchtung sehen müssen, daß eine derartige Rüpelei gegen mich völlig falsch und unangebracht war.“ Der Herr Oberbürgermeister wird gebeten, „geeignete Maßnahmen gegen derartig renitente Polizeimenschen zu veranlassen“.

2. April 1966: Gesucht: der freundlichste Polizist

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Es gibt jedoch auch erfreuliche Fälle, in denen zwar der Kraftfahrer Haare lassen muß, trotzdem aber nicht das Gefühl hat, überfahren worden zu sein. Dafür spricht der folgende Beitrag, der von einer Kollegin aus Bonn stammt, einer „alten“ Nürnbergerin allerdings.

„Mit der Nürnberger Polizei verbindet mich seit längerem ein schon fast zur ‚lieben Gewohnheit‘ gewordenes Verhältnis: ich übersehe beim Autofahren ab und zu ein kleines Verkehrsschild und die Polizei macht mich dann darauf aufmerksam. Als Entgegenkommen für ihre Aufklärungsarbeit bezahle ich dann zwei oder fünf Mark. Das letzte Mal bin ich allerdings mit diesen Beträgen nicht ganz ausgekommen.

Und das kam so: Als ich im Vollbewußtsein einer neuen Haartracht meinen Friseur verließ und mich beschwingt hinter das Steuer meines Käfers setzen wollte, dachte ich, auf der Stelle einem Schlafanfall erliegen zu müssen. Mein Auto war weg! Gestohlen, so dachte ich. Abgeschleppt – so sagten mir Augenzeugen. Abgeschleppt in die Obhut meiner Freunde im Polizeipräsidium, wo ich angesichts zweier abgefahrener Reifen zerknirscht teure Buße tun sollte. Am Telephon brummte eine Stimme aus dem Präsidium: ‚Etz kumma'S erscht amol her. Nou seng ma scho weida, gell?‛

‚Is scho a Pech, wenn ma g'schnappt werd‛, meinte der Wohlbeleibte in Polizeiuniform, als ich vor ihm auf dem Armesünderstühlchen saß. ‚Jetzt müssen mir erscht ein Brodokoll schreibm‛, sagt's und klemmt sich ächzend hinter eine Schreibmaschine, schiebt sich die Brille zurecht und fragt mich aufmunternd: ‚Wie heißn'S denn?‘

2. April 1966: Gesucht: der freundlichste Polizist

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Dann wollte er meinen Führerschein sehen, den ich – natürlich – im abgeschleppten Wagen liegen hatte. ‚Aber sowas derfn'S doch net machen‘, meinte er, mich väterlich auf das ‚dunkle Gesindel‘ hinweisend, das auf Autobesitzer wie mich nur wartet. Schließlich hatte er unter viel Stöhnen und Ausradieren das Protokoll mit ungelenken Schreibmaschinenfingern getippt. Und dann kam's, was den ohnehin schon freundlichen Ordnungshüter veranlaßte, direkt gentlemanlike zu handeln: Ich wollte mich in diesem Protokoll nicht mehr zu meinem ‚Fall‘ äußern. Schließlich waren die Reifen tatsächlich abgefahren. Ich hatte eben Pech gehabt. Was sollte ich dazu noch sagen? Der ‚Blaue‘ konnte es gar nicht fassen: ‚Sie wolln nix dazu sagn? Ich mach Sie aber darauf aufmerksam, daß Sie das Recht haben!‘ Ich wollte aber nicht. ‚Dann darf ich also schreiben: Ich mache von meinem Recht, mich zu der Sache vor der Polizei zu äußern, keinen Gebrauch!‘ Ich nickte und kam mir schon ganz eigenwillig vor.

Zurückhaltung belohnt

Daß mein Gegenüber an der Maschine mir nicht gleich um den Hals gefallen ist, wundert mich eigentlich. Denn dann kam es, aus tiefstem Herzen und voll tiefster Dankbarkeit: ‚Da brauch' i ja etz nix mehr schreim!‘ Und dann kam ein ganzer Wortschwall über die Leute, die immer meinen, einen ganzen Roman anfügen zu müssen, der – ja, das ist wohl das Schlimmste – von den Beamten auch noch getippt werden muß!

Meine Zurückhaltung wurde fürstlich belohnt. Ich mußte die Reifen nicht im Hof des Präsidiums wechseln. Der wackere Polizist beorderte für mich einen mit zwei Mann besetzten Streifenwagen, in dessen Geleit ich im Schneckentempo zur Reifenfirma fahren durfte. Wenn das kein Dienst am Kunden ist!“

Aber die Nürnberger kommen auch allein recht gut zu Rande, wenn es gegen die Blaujacken zu wettern gilt. Eine Firma bezeichnet schon eine gebührenpflichtige Verwarnung als überaus kleinlich, um sich sogleich auch über den Ton des Beamten zu mokieren, der da gesagt haben soll: „Wenn Ihnen diese Verwarnung nicht paßt, dann bekommen Sie eine Anzeige, die das Zehnfache kostet!“ Dies klinge nach allgemeinem deutschen Sprachgebrauch, so meint die Firma, nach Nötigung. Ein altgedienter Offizier führt Klage darüber, daß er in einem Revier aufgefordert worden sei, er solle machen, daß er hinauskomme. „So etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert.“

Barsch, unmanierlich, rücksichtslos, dumm – das sind Worte, die in den Beschwerdebriefen immer wieder auftauchen. Gar mancher Klageführer geht soweit, Wortspiele mit den Namen der Beamten zu treiben oder die Uniformierten in Bausch und Bogen zu verdammen. Da fühlen sich dann selbst hartgesottene Polizeibeamte auf den Schlips getreten, wie dies aus der Stellungnahme eines Meisters zu einem „Eingesandt“ hervorgeht. „Durch die Verunglimpfung meines Familiennamens sowie die in der Beschwerde festgelegten schriftlichen, beleidigenden Äußerungen fühle ich mich in meinem Ehrgefühl verletzt und werde gegen die Beschwerdeführer nach Stellung eines Strafantrages Anzeige wegen Beleidigung erstatten“, so steht es schwarz auf weiß aus der Feder des Empörten.

Beinahe allen Briefen aus der Bevölkerung liegt das Corpus delicti, die gebührenpflichtige Verwarnung bei, das so manchen Zeitgenossen auf die Barrikaden treibt. In der Tat muß jeder Kraftfahrer damit rechnen, in diesem Jahr mindestens einmal verwarnt zu werden, wenn die Rechnung der Stadt aufgehen soll. Bei 100.000 Fahrzeugen sind 470.000 Mark nur auf diese Weise einzunehmen. Allerdings steuern auch Auswärtige ihr Scherflein zu dem stattlichen Betrag bei.

Dieses Beispiel zeigt, wie sehr der Ton die Musik macht, der gute Ton natürlich. Wo immer aber Polizeibeamte mehr als ihre Pflicht tun, da schneit es auch Lob ins Haus. Die Beschwerdebriefe können und dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in Nürnberg eine ganze Reihe von Beamten gibt, mit denen eine Begegnung zur Freude wird. Sie zu finden und herauszustellen, das ist der Sinn unserer Großfahndung: „Gesucht wird der freundlichste Polizeibeamte!“

Ein jeder kann gewinnen

„Gesucht wird: der freundlichste Polizeibeamte!“ Unter diesem Motto laden die „Nürnberger Nachrichten“ alle zu einer Großfahndung ein. Sie soll auf die Spur von Menschen in Uniform führen, die nicht nur pflichtbewußt und korrekt, sondern darüber hinaus liebenswürdig und hilfsbereit handeln. Von Montag an wollen wir den ganzen April hindurch täglich ein bemerkenswertes Erlebnis zwischen einem Bürger und den Beamten der Polizei abdrucken. In dem Wettbewerb kann jeder leicht 50 Mark verdienen, denn dieser Preis ist ihm sicher, wenn seine Schilderung von einer erfreulichen Begegnung veröffentlicht wird.

Was muß ein Polizist tun, um das Prädikat „freundlich“ zu erhalten? Hier ein paar Beispiele: er bietet alten Leuten, Gehbehinderten oder Kindern seine Hilfe beim Überqueren einer verkehrsreichen Straße an; er gibt einem Passanten nett und erschöpfend Auskunft; er erkundigt sich bei einem Kraftfahrer, ob er ihm bei einer Panne behilflich sein kann. Aber es sollen sich auch Polizeibeamte eine Auszeichnung verdienen können, wenn sie einen Fußgänger oder Kraftfahrer wegen einer kleinen Unkorrektheit gebührenpflichtig verwarnen müssen. Der Ton macht eben dabei die Musik. Es geht uns um Erlebnisse, bei denen ein Polizist sein Herz dem Notizbuch vorzieht, sofern es die Dienstvorschriften erlauben.

Wer immer in den nächsten Wochen glaubt; einem solchen Beamten begegnet zu sein, der braucht sich von dem Mann in Uniform nur ein Visitenkärtchen überreichen zu lassen, damit er uns so schnell wie möglich das Erlebnis schriftlich schildern kann. Sollte es aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, den Polizisten um seinen Namen zu bitten, so ist uns auch damit gedient, die Beobachtung mit dem genauen Datum und der Uhrzeit sowie dem Ort der Handlung zu erfahren. Wir werden uns dann selbst bemühen, den freundlichen Beamten ausfindig zu machen.

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