2. Juli 1965: Esel, Plakate und Spruchbänder

2.7.2015, 07:00 Uhr
2. Juli 1965: Esel, Plakate und Spruchbänder

© Ulrich

Die in Nürnberg lebende studentische Jugend wollte gestern mit einem Umzug durch die Innenstadt – wie in anderen deutschen Universitätsstädten – die Öffentlichkeit wachrütteln und auf den „Bildungsnotstand“ aufmerksam machen. Vor dem Protestmarsch, bei dem die Stimmung trotz des ernsten Hintergrundes so gut wie beim Thomasbummel war, hatte Professor Dr. Franz Ronneberger im Heilig-Geist-Spital die Situation im deutschen Bildungswesen folgerichtig analysiert. Seine Betrachtungen wären einen noch weiteren Kreis wert gewesen.

Der Ordinarius für Politische und Kommunikationswissenschaft an der 6. Fakultät fand, daß der Wissenschaft und Bildung zunächst schon durch breite Zustimmung geholfen sei, die ein übergeordnetes Interesse, ein Interesse des Überlebens von Gesellschaft und Staat entstehen läßt, und zwar im gleichen Umfang und in der gleichen Rangordnung wie für die Verteidigung. Heiner Steiner, 2. Vorsitzender der Studentenvertretung, hatte die Hörer Professor Ronnebergers begrüßt, unter denen sich CSU-Fraktionsvorsitzender Dr. Oscar Schneider und Schuldirektor Friedrich Ruthel befanden.

Dr. Franz Ronneberger, der sich in seinem Vortrag auf die Lage der Universitäten beschränkte, lobte den Staat, der sich bewußt sei, was er der Freiheit der Hochschule und der Wissenschaft schuldig ist. Trotz dieses positiven Verhältnisses scheine jedoch etwas nicht in Ordnung zu sein. Der akademische Lehrer fand den Grund in dem Strukturproblem zwischen der Gesellschaft und einem Staat, der die über Interessenorganisationen signalisierten Wünsche der Gesellschaft erfüllt, so daß die Wissenschaft, deren Interessen sich nicht wie die der Bauern, der Arbeitnehmer oder der Industrie organisieren lassen, leer ausgeht.

Es sei deshalb zunächst notwendig, durch ständigen und wachsenden Druck ein übergeordnetes Interesse in der Öffentlichkeit entstehen zu lassen. Es genüge nicht, überfüllte Hörsäle zu beklagen, die Überlastung der Rektoren mit Verwaltungsarbeit ins Feld zu führen, Denkschriften zu veröffentlichen und neue Lehrstühle zu bewilligen, ohne zugleich das langwierige Berufungsverfahren zu beseitigen.

Bessere Aufklärung gefordert

„Die Universität muß sich ernsthaft bemühen, die Öffentlichkeit aufzuklären. Besser wäre allerdings, es geschähe etwas“, wünschte Professor Ronneberger, der auf die Zusammenhänge hinwies: „Existenz und Gesundheit der Wissenschaft hängen von den äußeren Finanzen ab. Diese sind nicht vorhanden. Die Finanzierung aber hängt wiederum davon ab, wie die Universität ihre Interessen deutlich machen kann. Dabei ist sie auf die Anerkennung ihres Interesses als Gemeinwohl angewiesen.“

Nachdem die Studentenschaft geziemend applaudiert hatte, trat sie zur Marschkolonne an, deren Spitze die Grautiere bildeten. „Verkörpern wir die Bürger von 1970?“ und „Hauptsache, wir haben zu fressen, was schert uns die Bildung“ stand auf den Plakaten, die über ihre Rücken hingen. Die Studenten begnügten sich mit weniger aggressiven Schlagworten wie „Bildung für 40 DM“ oder „Bildung und Wissenschaft – Stiefkind der Nation“.

Wie sie bei einer Pressekonferenz nach dem bei der Bevölkerung mit Schmunzeln zur Kenntnis genommenen Protestmarsch erklärten, möchte die akademische Jugend vier Dinge deutlich sagen. Bundesregierung und Parlament müßten wissen, daß wirtschaftliches Wachstum von guter Bildung abhänge und heute nur an den Bildungsreserven gezehrt werde. Die Wirtschaft, die eine gediegene Ausbildung verlange, müsse erkennen, daß es durch Stiftungen die Lage der Wissenschaft zu verbessern gelte. Der Bevölkerung soll klar werden, daß Wohlstand ohne die bildungsabhängige wirtschaftliche Blüte nicht möglich ist, daß sich eine, für die Bildung verwendete Mark besser verzinst als jene von der Industrie eingesetzte. Schließlich sollen Kultusministerien und Universitäten wissen, daß die Hochschulreform dringlich ist.

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