2. Mai 1966: Arbeiter möchten mitbestimmen

2.5.2016, 07:00 Uhr

Sie lauschten dem Bundestagsabgeordneten Willi Michels vom Frankfurter IG-Metall-Vorstand, der für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den großen Unternehmen des Fahrzeugbaus, der Chemie oder der Elektroindustrie nach der bereits bei Kohle und Stahl bewährten Manier eintrat, gegen die Notstandsgesetzgebung zu Felde zog und die steigenden Preise aufs Korn nahm, die keineswegs auf die Lohnpolitik der Gewerkschaften zurückgeführt werden könnten. Oberbürgermeister Dr. Urschlechter bezog sich in seinem Grußwort auf die Losung des Tages:
"... dabei sein, mitbestimmen, Erfolg haben" und hob die zwischen dem DGB und der Stadt bestehende Partnerschaft hervor.

Für die Kundgebung hatte der DGB heuer mit neuen Formen experimentiert. Es ertönte die Eurovisionsfanfare. Auf dem Podium standen zuerst die Kinder der städtischen Singschule und sangen aus voller Kehle Maienlieder, ehe die Gewerkschaftsjugend mit ihren Fahnen aufzog und Kreisvorsitzender Walter Ranzenberger zur Begrüßung der Prominenz anhob: Bundestagsabgeordnete wie Käte Strobel und Georg Kurlbaum (SPD), Oberbürgermeister und Bürgermeister, Landtagsabgeordnete und Senatoren, berufsmäßige und ehrenamtliche Stadträte. Nur vereinzelt waren Transparente zu sehen und Spruchbänder, auf denen die Eisenbahner für eine bessere Verkehrspolitik plädierten, Gastarbeiter ihre Solidarität bekundeten und – winzig klein – für Vietnam Verhandlungen statt "schmutziger Krieg" gefordert wurden.

"Wehret den Anfängen", rief der Kreisvorsitzende auf dem historischen Pflaster und erklärte: "Laßt nicht zu, daß dieser Platz wieder Tummelplatz größenwahnsinniger Nationalisten und unsere Jugend ein zweites Mal den Flötentönen – sprich: den Fanfarenstößen von Rattenfängern – ausgeliefert wird." In diesem Licht besehen, sei der 1. Mai ein Kampftag zur Festigung einer friedlichen Demokratie.

Auch das Stadtoberhaupt fand jene Menschen, die den Platz mißbrauchen wollen, einer kurzen Erwähnung wert. Aber weit wichtiger war ihm der Hinweis auf die fruchtbringende Partnerschaft mit dem DGB in kommunalen Fragen. "Begleiten Sie uns auf dem Weg zur technisch vollendeten, aber menschlichen Stadt. Dann werden wir Erfolg haben", meinte er.

SPD-Bundestagsabgeordneter Willi Michels beschäftigte sich in seiner Mai-Rede mit hoher Politik und Wiedervereinigung, um schließlich zum wichtigen Anliegen der Mitbestimmung zu kommen. "Es ist ein Erfordernis unserer Zeit, daß die Beteiligung an der unternehmenspolitischen Verantwortung nicht auf den Montanbereich beschränkt bleibt"; rief er, um zum Schluß ein ganzes Wunschpaket aufzuknüpfen: von der gleichen Behandlung aller Arbeiter und Angestellten in der sozialen Krankenversicherung bis zum Ausbau der Arbeitsmedizin, von der besseren Altersversorgung bis zur stufenweisen Herabsetzung der Altersgrenze mit dem Ziel, daß künftig Arbeitnehmer ab dem 60. Lebensjahr den Ruhestand genießen können.

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