20. Februar 1966: „Dieses Experiment ist geglückt“

20.2.2016, 07:00 Uhr
20. Februar 1966: „Dieses Experiment ist geglückt“

© Gerardi

Sechs Monate theoretischer Unterricht, in dem sie mit allen Alterskrankheiten und deren Behandlung vertraut gemacht werden, und weitere sechs Monate praktischer Arbeit in einem Altenheim sollen den 16 Gelegenheit geben, sich auf ihre Pflichten gründlich vorzubereiten.

Obwohl es gleiche Institutionen schon in Köln und Stuttgart – ebenfalls auf kommunaler Basis – und in Augsburg und Marl als Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt gibt und man in Nürnberg lose Kontakte zu ihnen aufrechterhält, wurde doch mit der Errichtung dieser Anstalt Neuland betreten. Es gibt weder Lehrbücher über Altenpflege noch eingehende und über einen längeren Zeitraum reichende praktische Erfahrungen, auf die sich die Dozenten der frischgegründeten Schule berufen könnten.

Doch schon heute steht eines fest: das Experiment ist geglückt. Die beiden Leiter der städtischen Altenpflegeschule, Dr. Winfried Jansen als Anstaltsarzt im Spital und Stadtrat Hans Wagner als Chef der Verwaltung, sind voll des Lobes über die 16, die allesamt schon in anderen Berufen ihren Mann gestanden haben und doch noch so viel Idealismus und Schwung besitzen, den harten Alltag im Heim durchzustehen. „Erstaunlicherweise haben wir unter unseren Schülern auch einige ausgesprochene Begabungen entdeckt“, berichtet Dr. Jansen.

Als im Oktober die Schule gegründet wurde, lag die Hauptarbeit schon hinter ihren Lehrern: das Ausknobeln des Stundenplanes. Lehrschwester Inge, unermüdliche Tutorin der kleinen Schar, hatte mit Dr. Jansen anhand des Standardlehrbuchs der Krankenpflege, dem „Kohlhammer“, das Programm aufgestellt. „Wir sind davon ausgegangen, daß die Schüler ein hieb- und stichfestes Rüstzeug für die Behandlung alter Menschen haben sollen“, begründen sie ihre Auswahl. „Später müssen sie nämlich imstande sein, auf den Stationen der Nicht-Bettlägerigen eine Schwester zu ersetzen und in der Krankenstation mit ihr zusammenzuarbeiten.“

Gründliche anatomische Kenntnisse, Erste Hilfe, Bewegungstherapie, Arzneimittelkunde, Diät und Schonkost, Alterspsychologie, aber auch Staatsbürgerkunde, Sozialfürsorge, Werken und Feierabend-Gestaltung gehören zum Stundenplan, der wöchentlich 45 Stunden umfaßt und die Schüler erst am Wochenende für anderthalb Tage freigibt. Einige von ihnen wohnen im Sebastiansspital und haben dort freie Unterkunft und Verpflegung, andere, bei denen das aus schwerwiegenden Gründen nicht möglich war, kommen in den Genuß einer Sondervergütung.

Der Unterricht ist für alle kostenlos, außerdem wird ein Unterhaltszuschuß von monatlich 200 Mark gewährt. Nach der ersten Prüfung nach einem halben Jahr – mit der die theoretische Ausbildungszeit abschließt – werden sie nach Tarif Kr I bezahlt, nach der „Bewährungszeit“ von weiteren sechs Monaten sind sie mit Kr II fast auf dem Stand einer Vollschwester.

Alle Beteiligten, Dozenten wie auch die künftigen Pfleger, sind sich darüber im klaren, daß der neue Beruf erst eine gewisse Anlaufzeit braucht, um sich durchzusetzen. Schließlich ist aber auch die „Altenkunde“ ein noch fast unerforschtes Fachgebiet. „Vieles, was bislang als typische Wunderlichkeit der Großväter abgetan worden ist, wurde jetzt als Krankheit diagnostiziert“, sagt Dr. Jansen. „Wir helfen uns selbst beim Verständnis der alten Leute, wenn wir uns klarmachen, daß sie nicht einfach launisch oder gar bösartig sind, sondern krank.“

Das bedeutet aber auch, daß man diesen Menschen wirklich helfen kann, sei es durch Medikamente, sei es durch Psychotherapie – und hier sehen die künftigen Altenpfleger ihre Aufgaben und ihre Chance. Sie sind alle miteinander keine jugendlichen Idealisten, die vom dumpfen Drang des Helfenwollens getrieben werden oder gar dem hektischen Übereifer gewisser „Mutti-Typen“ verfallen sind. Sie wissen genau, daß ihr Alltag im Heim nicht leicht sein wird, daß es unermüdlicher Geduld bedarf, robuster Gesundheit und geschickter Hände.

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