20. Juni 1966: Die Sachsen wollen wieder heim

20.6.2016, 07:00 Uhr
20. Juni 1966: Die Sachsen wollen wieder heim

© Gerardi

Sogar beim Höhepunkt, als am Samstagabend bei der Kundgebung „Sachsen – Deutschland – Europa“ in der Messehalle die Sprecher der Landsmannschaft und der drei Bundestagsfraktionen Nachbetrachtungen zum „Tag der deutschen Einheit“ anstellten und den Willen zur Wiedervereinigung bekundeten, hatten die Photographen Mühe, nicht nur leere Stühle auf den Film zu bekommen.

Neben der Begegnung im kleinen Kreis und meist folkloristisch gefärbten Veranstaltungen fand der Fürther SPD-Bundestagsabgeordnete Max Seidel viel Aufmerksamkeit, als er über den Redneraustausch zwischen seiner Partei und der SED sprach.

Abgesehen von der mangelnden Beteiligung, die von den Eingeweihten damit begründet wurde, daß der Nürnberger Boden nicht durch kleinere Sachsentreffen aufbereitet worden sei, ist in den drei Tagen viel nützliche Arbeit geleistet worden. Dazu gehört auch die Resolution der Bundeslandsmannschaft, in der sie der Opfer des 17. Juni gedenkt und erklärt: „Wir unterstützen jede Bemühung, die geeignet ist, die Gegensätze zwischen Ost und West aufzulockern, um den Menschen in Mitteldeutschland ihr Dasein zu erleichtern.“

Außerdem machten sich die Sachsen Gedanken über die Kultur- und Jugendarbeit. Sie wünschen sich die Rechtsgleichheit von Sowjetzonenflüchtlingen und Heimatvertriebenen und ließen aus dem Munde ihres Dresdener Landsmannes Wolfgang Mischnick, dem Bundesminister a. D. und stellvertretenden FDP-Vorsitzenden, verstärkten Interzonenhandel fordern.

Politische Fragen standen auch im Mittelpunkt der Kundgebung, bei der der Landesvorsitzende der Sowjetzonenflüchtlinge, Rudolf Wiebach, und der Landesvorsitzende des Verbandes der Heimkehrer, Dr. Bernhard Brunner, als erste Gäste zu Wort kamen. Die Gedanken der folgenden Parteisprecher kreisten um die Wiedervereinigung. „Deutschland ist nicht auseinanderzureißen“ und „Die Selbstbestimmung auch für die Deutschen“: auf diesen gemeinsamen Nenner kann der Inhalt der Reden von Friedrich Kühn (CDU-CSU), Rudolf Kaffka (SPD) und Wolfgang Mischnick (FDP) gebracht werden.

Mehr aber als für solche Worte – so schien es – interessierten sich die Sachsen für ihre blaublütigen Landsleute. Wie reckten sich die Hälse, als Seine Königliche Hoheit, Prinz Friedrich Christian, Herzog zu Sachsen und Markgraf von Meißen, mit Markgräfin Elisabeth Irene und seinen beiden Kindern, Prinz Albert und Prinzessin Maria Anna, gemessen zur Kundgebung in die Messehalle schritt.

Die Nürnberger aber waren bei den „lieben Freunden der Stadt“ durch ihren Oberbürgermeister gut vertreten. Er begrüßte die Sachsen-Prominenz im Rathaus, ließ Bier und Bratwürstchen servieren und bekam ein Bild, das die Albrechtsburg in Meißen zeigt. Am Abend bot er in der Messehalle allen den Willkommensgruß, die den Sachsentag 1966 in den Mauern der nordbayerischen Metropole erlebten: mit Heimatabenden, Lichtbildervorträgen, Platzkonzerten, Zonengrenzfahrt, Stadtrundfahrten und einem der Kundgebung folgenden Festabend; zwischen Würstchenständen, Eisverkäufern, Büchertischen und Händlern, die Postkarten mit dem Sonderstempel der Bundespost feilboten.

Die Einheimischen aber haben kaum etwas davon mitbekommen, denn 3000 Gäste vermögen das Stadtbild nicht umzukrempeln. Außerdem stimmt offenbar vieles von dem nicht, was den Sachsen nachgesagt wird. Vom „linguistisch gebrandmarkten Volksstamm“ war jedenfalls nicht viel zu hören. Und selbst der Spruch, daß zwischen Dresden und Leipzig die „scheenen Mädchen uff de Beeme wachsen“, scheint erfunden, denn rings um das Messegelände und in den weiten Hallen waren nicht mehr und nicht weniger Schöne zu sehen als zu normalen Zeiten auf der Karolinenstraße auch.

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