20. Mai 1966: Sie lassen die Puppen gern tanzen

20.5.2016, 07:00 Uhr
20. Mai 1966: Sie lassen die Puppen gern tanzen

© Kammler

„Die Phantasie wird angeregt und die musische Begabung der Buben und Mädchen geweckt. Außerdem empfinden sie tiefer“, erklären die Leiter der zwei Gruppen, Studienrätin Gerlinde S. Und Studienrat Reiner S. den Tanz der Puppen. Daß dieses Spiel ernst genommen wird, beweist das Interesse der Stadt München an 50 Wurzelpuppen aus dem Hans-Sachs-Gymnasium für ihre Puppentheatersammlung, die größte der Welt übrigens

Eine „Dame“ für 10 Mark

Zwei Stunden in der Woche beschäftigen sich die Jugendlichen mit den Puppen. Und immer wieder basteln sie neue. Sie verwenden Papier, Stoff, Holz, Metall, Schaumgummi und Dekorationsabfall. „Hübsche, wohlgeformte Damen können bei uns durchaus aus Resten bestehen“, lacht Reiner S. Deshalb sind sie billig, die Figuren. Etwa 10 Mark kosten sie, während man im Fachgeschäft 80 bis 100 Mark für eine Marionette ausgeben muß. Die Schüler aber haben ihren Spaß daran, möglichst originelle Puppen an den Mann zu bringen, dem Publikum also mit der handwerklichen Fertigkeit zu gefallen. 250 sind bereits bühnenreif.

Jeder der 40 jungen Lernenden ist ein gelernter Pole Poppenspäler, wenn er hinter den Kulissen steht und die Fäden in der Hand hat. Denn die Rollen der Stücke sind sorgfältig einstudiert und geprobt worden. Neunmal hat sich die Schule mit Aufführungen an die Öffentlichkeit gewagt und das Publikum konnte sich jedesmal überzeugen, daß Marionettenspiel kein Kasperltheater ist. „Es steckt mehr dahinter“, sagt Gerlinde S. Sie ist der Auffassung, daß die meist von Studienrätin Irmingard D. zu „Drehbüchern“ umgeschriebenen Märchen, Erzählungen oder gar Opern auch gehobenen Ansprüchen gerecht werden.

Für die Schüler selbst ist das Puppenspiel mit dem ernsthaften Bemühen verbunden, die aufgetragene Rolle genau zu erfassen, sie stimmlich und in der Bewegung getreu wiederzugeben. „Sie beschäftigen sich mit ihrer Figur, sie suchen den Ausdruck, den sie ihr geben wollen und den Stil für das Spiel“, sagt Reiner S. „Und deswegen haben wir Erfolg.“ Er wirkte sich immerhin so aus, daß die Marionetten die Laien-Schauspielgruppe der Schule verdrängt haben.

Wenig bekannte Erzählungen stehen meist auf dem Programm der „Bühne im Zeichensaal“. So wurde zum Beispiel der „Puppenfaust“ aufgeführt, das alte deutsche Spiel von Dr. Johannes Faust. Das Stück ist Volksgut aus dem 17. oder 18. Jahrhundert. Ebenfalls alt ist die Geschichte vom Rattenkönig Birlibi, der sich in der Walpurgisnacht von Menschen bedienen läßt und sie dann mit Gold belohnt. Häßliche Hexen und böse Geister spukten dabei vor den Augen der Gäste herum.

Gute Musik dagegen hörten sie bei der Oper „Die Geschichte von der klugen Frau“. Komponist: Karl Orff. „Das war ein schwieriges Stück“, erinnert sich Studienrat S. Aber die Schüler hinter dem Vorhang bekamen schließlich ihre verdienten „Vorhänge“. Sie sind der einzige Lohn für die viele Arbeit, der viel Freizeit geopfert wird. Auch jetzt wieder, denn Ende des Schuljahres werden die Spieloper „Zaubergeige“ von Werner Egk und „Die kleine Seejungfrau“ von Hans-Christian Andersen aufgeführt.

Das Hans-Sachs-Gymnasium ist stolz auf seine Puppenspieler, die einzigen in Nürnberg mit eigener Bühne. Der letzte Pole Poppenspäler, Kurt Thomaschek, genannt Tom, muß dagegen in einem Pavillon im Cramer-Klett-Park auftreten. Seine Gäste sind gelegentlich auch seine Freizeitkollegen vom Lyzeum, denn sie können in Onkel Toms „Hütte“ noch etwas lernen.

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