22. August 1965: Der beste Ausguck ist auf der Burg

22.8.2015, 16:36 Uhr
22. August 1965: Der beste Ausguck ist auf der Burg

© Kammler

Trotz der vielen Türme und Türmchen, der runden und der eckigen, gibt es nämlich nur zwei Möglichkeiten inmitten von Nürnberg: entweder den Städtischen Werken aufs Dach steigen oder den Sinwellturm auf der Burg erklettern, der dem Lande Bayern gehört. Nürnbergs einzige städtische Warte wurde erst vor kurzem auf dem Schmausenbuck wieder in Betrieb genommen. Doch der Weg dorthin ist für viele weit, obwohl sich ein Sonntagsspaziergang auf die Gritz sicherlich lohnt.

„Zwerge“ in der Mauer

Baudirektor Otto-Peter Görl, der Leiter des Hochbauamtes, besitzt eine mehrere Seiten starke Liste der Türme. Mit 33,50 Meter Traufhöhe und seinem 12 Meter hohen Helm führt sie unangefochten der Laufer Torturm an, gefolgt vom Weißen Turm mit 32,50 Meter Höhe von der Straße bis zur Traufe und einem elf Meter hohen Dach. Die drei dicken runden Türme in der Stadtumwallung messen dagegen nur zwischen 27,50 und 28,50 Meter. Die „Zwerge“ befinden sich ebenfalls in der Stadtmauer. Mehrere davon messen von der Bastei bis zur Traufe gerade zweieinhalb Meter.

Doch auch die Riesen sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich; nicht, weil sich die Stadt nicht in ihre Türme gucken lassen will, sondern, weil sich ein Blick herab nicht lohnen würde. Außer dem Laufer Torturm stehen alle im tiefgelegenen Umfassungsbereich der südlichen Stadtmauer. Selbst der Laufer Torturm überragt die benachbarten Häuser nicht. „Wir hätten schon längst eine Aussicht geschaffen. Aber ein Fernblick ist von keinem unserer Türme möglich“, bedauert Baudirektor Otto-Peter Görl.

In anderen Orten – etwa in Nördlingen oder in Ulm – können auch die Kirchtürme bestiegen werden. In Nürnberg aber dürfen nur Leute emporsteige, die dort oben etwas zu schaffen haben. Baurat Hans Weiß von der Bauabteilung der Evangelischen Gesamtkirchenverwaltung begründet die Sperre mit fehlenden Umgängen und dem nötigen Aufwand, denn es müßte selbstverständlich auch ein Türmer beschäftigt werden.

Außerdem bezeichnet der Baurat die Aufgänge als so gefährlich, daß sie von den Besuchern kaum bestiegen werden könnten. Wer einmal auf den Südturm von St. Lorenz geklettert ist, gibt ihm recht. Über steile und schmale Stiegen führt der Weg nach oben, vorbei an den mächtigen Glocken und dem empfindlichen Uhrwerk.

So bleibt den nach Ausguck Ausschau haltenden Menschen nichts anders übrig, als die Burg anzusteuern, von deren Freiung sich bereits ein herrlicher Blick über die Stadt bietet. Noch schöner ist die Rundumsicht vom Sinwellturm, die sich Erwachsene für 20 Pfennig und Kinder für zehn Pfennig erkaufen können. Der bis zur Plattform 35 Meter messende Sinwellturm, in dessen Holz viele Besucher ihre Namenszüge und Initialen eingegraben haben, gehört dem Lande Bayern. Von April bis September ist er täglich von neun bis 18 Uhr, von Oktober bis März von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 16 Uhr geöffnet.

Die Stadt bietet indirekt durch eine ihrer Gesellschaften, durch die Städtischen Werke, einen Blick von oben, der bequem erreicht werden kann. Die Dachterrasse über dem 14. Stockwerk des Plärrer-Hochhauses ist alljährlich von Juni bis Ende September an Sonntag und an gesetzlichen Feiertagen von neun bis 12 Uhr freigegeben

Hochhaus mit Schönheitsfehler

Pro Person kostet der Spaß 20 Pfennige. Kinder unter sechs Jahren dürfen – behütet von Erwachsenen – kostenlos einen Blick riskieren. Schließlich bieten die Städtischen Werke etwas fürs Geld. Treppen braucht man im Hochhaus nur wenige zu steigen. Der Fahrstuhl bringt den Gast bis kurz vor das Ziel. Das einzige städtische „Krähennest“ ist erst vor einigen Wochen in Betrieb genommen worden: der wieder instandgesetzte und mit einer Aussichtskanzel versehene Turm auf dem Schmausenbuck. Allein wegen seiner Berglage schlägt er alle anderen gemauerten Konkurrenten. Wer die 135 Stufen auf dem 24 Meter hohen Turm hinaufklettert – vorher müssen Erwachsene 30 Pfennige und Kinder 20 Pfennige in die Kasse legen – wird durch einen herrlichen Rundblick entschädigt: im Osten bis weit in die Hersbrucker Schweiz, im Süden bis in den Jura, im Westen in den Rangau und im Norden bis hinter Erlangen.

Nur ein Schönheitsfehler haftet sowohl dem Hochhaus wie dem Schmausenbuckturm an. Sie sind im Gegensatz zum Sinwellturm nur an bestimmten Tagen zugänglich; der Turm auf der Gritz deswegen, weil noch kein Türmer gefunden worden ist und eine Wachgesellschaft an Samstagen und Sonntagen den Dienst zwischen zehn und 17 Uhr übernommen hat. Einheimischen und Gästen der Stadt, die Nürnberg auch am Werktag aus der Vogelperspektive sehen wollen, steht nur der Sinwellturm zur Verfügung. Es sei denn, sie nutzten einen Ausblick, der durch die Technik erschlossen worden ist, und unternehmen vom Flughafen aus einen Rundflug. Dann allerdings ist die Fernsicht für ein Viertelstündchen, das 15 Mark kostet, wirklich vollkommen.

Alles in allem: es wird den Nürnbergern und ihren Gästen nicht leicht gemacht, wenn sie einmal hoch hinaus und auf alles von oben herabblicken wollen. Sie können zwar auf mehr als 100 Türme und eine stattliche Zahl von kleinen Wolkenkratzern aufschauen, aber ein „Höhenflug“ ist ihnen höchst selten gestattet. Der kleine Mann muß eben meistens nach oben blicken . . .

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