22. Dezember 1965: Winter kostet viel Strom

22.12.2015, 07:00 Uhr
22. Dezember 1965: Winter kostet viel Strom

© Gerardi

Kann da nicht ein plötzlicher Stromausfall auch so eine lähmende Finsternis heraufbeschwören, wie es kürzlich in New York geschehen ist? Auf diese bange Frage beteuert Dr.-Ing. Heinrich Novak, Vorstand der Energie- und Wasserversorgungs AG: „In einem solchen Ausmaß brauchen wir das nicht zu befürchten!“

Es ist aber gut möglich, daß hin und wieder die Sicherung in einem Umspannwerk durchbrennt und ein Stadtteil vorübergehend im Dunkeln sitzt. Die Anforderungen an die Stromversorgung sind in den Monaten Dezember und Januar schließlich außerordentlich groß. Die höchste Spitze liegt in Nürnberg heuer im Winter bei 120.000 Kilowatt gegen 70.000 Kilowatt an einem normalen Sommertag. Der Rekord in Mittelfranken, das wie die Stadt von der Großkraftwerk Franken AG (GFA) versorgt wird, steht bei 480.000 Kilowatt. Diesen Bedarf können die Kraftwerke in Gebersdorf decken, und im nächsten Winter arbeitet schon Franken II bei Frauenaurach.

Wenn die Lage trotzdem brenzlig werden kann, so ist das jahreszeitlich bedingt. Im Sommer braucht die Industrie die größten Strommengen bis vier Uhr nachmittags, die Beleuchtung setzt aber erst gegen acht, halb neun Uhr voll ein. Im Winter hingegen leuchten schon überall die Lampen und Laternen, wenn auch die Maschinen der Betriebe voll laufen. Hinzu kommen die Girlanden, die unzähligen Werbelichter und die Hausbäckerei, die in der Summe auch zu Buche schlagen. Die elektrische Heizung spielt an kalten Tagen eine so bedeutende Rolle, daß die alte Regel nicht mehr gilt: der höchste Stromverbrauch tritt in der Woche vor Weihnachten auf. „Das kann auch erst im Januar passieren“, meint Dr. Novak.

Um für alle Fälle zu jeder Zeit gerüstet zu sein, gibt die Energie-und Wasserversorgungs AG (EWAG) jährlich zwischen 16 und 18 Millionen DM für ein besseres Netz aus Schaltanlagen, Trafostationen, Kabel und Freileitungen werden verstärkt, damit den „rasanten Anstieg des Stromverbrauchs Rechnung getragen werden kann“. Zum Beispiel wird das sogenannte Mittelspannungsverteilungsnetz mit 4.000 Volt längst nicht mehr weiter ausgebaut und soll in den nächsten zwei Jahrzehnten ganz „absterben“. An seine Stelle tritt ein kräftigeres 20.000-Volt-Netz.

Einen Zusammenbruch der ganzen Stromversorgung über mehrere Stunden schließt der EWAG-Direktor völlig aus. „Wir haben in Deutschland beim Bau von Kraftwerken eine andere Philosophie entwickelt“, sagt er. Alle Pläne in der Bundesrepublik seien darauf ausgerichtet worden, daß bei einem großen Zusammenbruch des Verbundnetzes die Einrichtungen des einzelnen Kraftwerks weiterlaufen oder wieder in Betrieb gesetzt werden können. In Amerika hingegen brauchen die Kraftwerke Strom, um wieder in Gang zu kommen, wenn sie einmal stilliegen. „Die Leute glaubten, das Verbundnetz ist so sicher...“

Nürnberg und der mittelfränkische Raum stehen außerdem auf kräftigen Beinen, weil sie nicht auf Stromlieferungen über große Entfernungen angewiesen sind. Die Stadt und ihre Nachbarn stehen also im besten Licht da.

Verwandte Themen


Keine Kommentare