22. Oktober 1966: Galerie oder Garage?

22.10.2016, 08:40 Uhr
22. Oktober 1966: Galerie oder Garage?

© Gerardi

Es kommt nicht teurer, ein neues Bauwerk zu errichten, als den Torso auszubessern. Die Stadt scheint daher entschlossen, das Künstlerhaus abzureißen, sobald es nicht mehr – wie jetzt noch als Notquartier für die Pädagogische Hochschule – gebraucht wird. Was aber soll dann geschehen?

Wird eine Galerie, wie es kunstsinnige Nürnberger sich erträumen, oder ein Parkhaus, wie es den Autofahrern vielleicht wünschenswert erscheint, an dieser herausragenden Stelle im Stadtbild errichtet? Das nahe Dürerjahr (1971) verpflichtet die Stadt zwar zu einer kulturellen Tat, ihr schmaler Geldsäckel läßt sie aber davor zurückschrecken. Wir wollen unsern Lesern die Möglichkeit einräumen, über die bedeutsame Frage abzustimmen, was am Königstor geschehen soll, um den Männern im Bauhof einen Fingerzeig zu geben.

22. Oktober 1966: Galerie oder Garage?

© Gerardi

Die städtischen Planer haben drei Vorschläge für den prominenten Platz in der Schublade liegen: 1. das Künstlerhaus bleibt vorerst stehen, weil eine freie Fläche den Blick auf kahle Fassaden und triste Hinterhöfe freigeben würde; 2. ein Neubau für kulturelle Zwecke, der eine Galerie und ihr verwandte Einrichtungen aufnimmt, wird errichtet; 3. es entsteht ein Parkhaus, das sich in seiner Architektur harmonisch in die historische Umgebung einfügt.

Baureferent Heinz Schmeißner macht keinen Hehl daraus, daß ihm ein „kulturträchtiges Gebilde“ an der Haustür zur Altstadt am liebsten wäre. Er hatte sogar die Hoffnung gehegt, daß ein solches Bauwerk bis zum Dürerjahr stehen und den kulturellen Ruhm der Stadt mehren könnte. "Aber bis dahin wird‘s nicht mehr werden", meint Schmeißner einsichtig, denn Nürnberg kann es sich bei seiner angespannten Finanzlage gegenwärtig nicht leisten, fünf Millionen Mark für ein repräsentatives "Empfangsgebäude" auszugeben, wenn nicht lebenswichtige Aufgaben vernachlässigt werden sollen.

Ausbau rentiert sich nicht

Es wäre daher denkbar, daß die Stadt vorerst das Künstlerhaus so stehen läßt, wie es ist, um nicht den Gast beim ersten Schritt aus dem Hauptbahnhof mit dem Anblick von Hinterhöfen zu konfrontieren. Ein Ausbau lohnt sich jedoch nicht mehr, denn es ist errechnet worden, daß er genauso kostspielig sein würde ,wie ein Neubau. Der Torso ließe sich vorübergehend als Amtssitz verwenden; es ist beispielsweise daran gedacht, das neue Planungs- und Baubüro für die U-Bahn dort unterzubringen. Bei diese Lösung könnte obendrein das Geld für einen Abbruch gespart werden, der nach den früheren Vorstellungen beim Auszug der Pädagogischen Hochschule im nächsten Jahr fällig wäre.

22. Oktober 1966: Galerie oder Garage?

© Hochbauamt Nürnberg

Am billigsten käme sie Stadt freilich weg, wenn ein Parkhaus anstelle des Künstlerhauses errichtet würde, denn es müßte von privaten Bauherren geschaffen werden. Die Planer im Bauhof, die jeden Gedanken an ein solches Garagengebäude zunächst mit dem Argument abtaten, es sei an dieser Stelle wegen der nötigen An- und Abfahrten unmöglich, haben sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen und sind zu einem anderen Ergebnis gelangt. Entstünde ein Parkhaus, so könnten es die Autofahrer über die Peuntgasse ansteuern und zur Königstraße hin wieder verlassen. "Die Nürnberger bekämen dann eben ein Autolager statt eines Salzlagers", meint Baureferent Heinz Schmeißner und weist darauf hin, daß fast ein Jahrhundert lang gegenüber dem Königstorturm ein Salzstadel mehr lag als stand.

Je länger über das künftige Schicksal des Künstlerhauses diskutiert wird, desto mehr verblaßt die Erinnerung der alteingesessenen Nürnberger an die einstige Stätte festlicher Freuden. Nur wenige noch können daran zurückdenken, daß im Februar 1906 der Salzstadel abgerissen worden ist, um dem repräsentativen Pseudo-Renaissancebau Platz zu machen. Der Salzstadel war Anfang des 19. Jahrhunderts von der königlich-bayerischen Verwaltung am Königstorgraben erbaut worden. Er ging 1897 in den Besitz der Stadt über und diente vor seinem Abbruch nur noch als Lagerhaus.

Drei Jahre lang wurde gearbeitet, bis das Künstlerhaus in seinem ganzen Prunk vollendet war. Seinerzeit konnte der Rat der Stadt noch auf Mäzene wie den jüdischen Kommerzienrat Heinrich Berolzheimer bauen, der eine namhafte Summe für das Haus gespendet hatte. Nürnberg ernannte ihn 1905 zum Ehrenbürger; Berlozheimer erlebte jedoch die Einweihungs-Feierlichkeiten im Künstlerhaus nicht mehr, denn er starb 1906.

Wenn der prächtige Bau auch in den Gedanken vieler als ein Ort festlicher Vergnügungen lebt, so hatte er doch auch seine ernsten Zeiten: in dem Flügel am Königstor zeigte die Stadt in einer ständigen Ausstellung ihren Kunstbesitz, der im Kriege in die Bunker unter der Burg verlagert wurde und künftig im Germanischen Nationalmuseum zur Schau gestellt werden soll.

Nach 1945 ist Nürnberg über sein Künstlerhaus nicht mehr recht froh geworden. Bomben hatten den großen Eingang am Königstor zerschlagen und weite Teile des Gebäudes zerstört. Die Amerikaner aber fanden den Bau auch in diesem Zustand noch anziehend genug, um dort Clubs und Vergnügungsstätten einzurichten. Sie haben das Haus sogar so verbaut, daß heute große Summen nötig wären, um es wieder für vernünftige Zwecke zu gestalten.

Als vor gut zehn Jahren die Truppen abgezogen, überlegte es sich der Stadtrat ernsthaft, ob er im Künstlerhaus nicht wieder einen gesellschaftlichen Mittelpunkt schaffen sollte, obwohl Baureferent Heinz Schmeißner schon damals berichtete, daß man sich bei den Vorbereitungen und Ortsbesichtigungen "ziemlich oft am Kopf gekratzt" habe.

Sorgen machten sich die Stadtväter freilich schon damals über die richtige Form für eine repräsentative Front gegenüber dem Königstor. So wenig sie etwas dagegen einzuwenden hätten, das ganze Gebäude um ein Stockwerk zu erhöhen, so wenig wurden sie mit dem Problem fertig, wie diese Eingangspforte zur Altstadt gestaltet werden sollte. Die Pläne für eine Ausbau des Künstlerhauses kamen denn auch zu den Akten. Von den Überlegungen aus der Zeit vor zehn Jahren blieb nur ein Gedanke übrig: ein Architektenwettbewerb muß die besten Ideen für diese wichtige Stelle im Stadtbild liefern.

Die Architekten können freilich erst zu Werke gehen, wenn sie wissen, was sie planen sollen. Die Bevölkerung muß das größte Interesse dran haben, daß am Ende ein Bauwerk entsteht, das ihrer Stadt zur Ehre gereicht. Unsere Leser haben es in der Hand, mit ihrer Stimme mitzuentscheiden, ob am Königstor ein "kulturträchtiges Gebilde" oder ein "Autosilo" geschaffen wird. Ihrer Entscheidung ist ein Echo bei den zuständigen Stellen gewiß. Baureferent Schmeißner versicherte schon im voraus: "Ich bin gespannt, was dabei herauskommt!"

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