23. September 1965: Bilanz eines Regensommers

23.9.2015, 07:00 Uhr
23. September 1965: Bilanz eines Regensommers

© Ulrich

Heute, zum Herbstanfang, kann man feststellen: in Nürnberg war er der regenreichste seit Beginn der meteorologischen Messungen im Jahre 1879. Während im Vorjahr 123 Millimeter fielen, waren es heuer in den Sommermonaten fast doppelt soviel, nämlich 229. Von Mai bis einschließlich August schien die Sonne nur 785 Stunden lang – die Vergleichszahl von 1964 liegt um fast 30 v. H. darüber – und die Temperaturen bewegten sich zwischen zwei und vier Grad unter den Vorjahreswerten.

Das ist die nüchterne Beschreibung der Unbilden, über die sich nicht nur Spaziergänger und Urlauber ärgerten, sondern auch die Inhaber vieler Unternehmen, die erst in der schönen Jahreszeit richtig zum Zug kommen. Kinos und Regenschirmhändler dagegen hatten ihre Schäfchen im Trockenen; ihre Umsätze stiegen beträchtlich.

Auf Caféterrassen und in Wirtsgärten standen die Stühle und Tische meist zusammengeklappt; die Inhaber warteten vergeblich auf Kundschaft. War im vergangenen Jahr fast jeder Sommertag ein Erfolgstag, so konnte der Garten heuer nur etwa an 60 Tagen geöffnet werden, erklärte die Geschäftsführerin eines großen Lokals im Süden der Stadt. Aber auch dann pfuschte der Regen reichlich oft dazwischen, so daß die Gäste ihre Tische fluchtartig verließen. „Wir hatten im ganzen Sommer nur wenige gute Wochenenden, und die Feiertage waren überhaupt ein ganz großer Reinfall“, beklagen sich die Besitzer von Gartenlokalen.

Auch der Bootsverleih am Dutzendteich war heuer ein wenig flottes Geschäft. Meist lagen die Kähne, Tret- und Elektroboote einträchtig nebeneinander am menschenleeren Landesteg, und nur selten mußte der Mann an der Kasse seine Tafel mit der Aufschrift „Tretboote für zwei Stunden ausverkauft“ an die Wand des Bootshauses hängen.

Ganz ähnlich stand es mit dem Besuch in den Freibädern. Kurz bevor die großen städtischen Freibäder, Stadion- und Naturgartenbad, ihre Pforten schlossen, schwankten die Wassertemperaturen zwischen 13 und 15 Grad – selbst für abgehärtete Sportsleute ein bißchen zu kalt, wie die 24 Mann bewiesen, die sich am vergangenen Sonntag noch im Naturgartenbad „tummelten“. Über 20 Grad erwärmte sich das Wasser heuer überhaupt nicht, und die Besucherzahlen blieben fast um die Hälfte hinter den des vorletzten Sommers zurück: 121.409 gegenüber 212.767 im Naturgarten- und 97.628 gegenüber 169.019 im Stadionbad.

Daß die Saison fürs Baden nicht geschaffen war, können auch Sport- und Modegeschäftsinhaber bestätigen. „Bademoden waren heuer ein schlechtes Geschäft“, erklärte uns der Chef einer bekannten Nürnberger Firma, „wir konnten unser Lager nur mittels Ausverkäufen räumen.“ Überhaupt wurden wärmere Sachen lieber gekauft. So bevorzugten die Kunden beispielsweise Freizeithemden mit langem Arm, während die kurzärmeligen liegenblieben. Als wenig abhängig vom Wetter erwies sich dagegen der Tiergarten. Bis Ende August wurden nur 27.000 Besucher weniger gezählt als im vergangenen Jahr, doch hofft man, dieses Defizit mit zwei oder drei „guten“ Sonntagen auszugleichen, wenn es einen schönen Herbst gibt. Nachdem der Besuch im Frühjahr sehr zu wünschen übrig gelassen hatte, strömten die Leute selbst an regnerischen Sommersonntagen in hellen Scharen hinaus an den Schmausenbuck, so daß wie jedes Jahr im August die 500.000er Grenze überschritten wurde. Der vergangene Monat brachte mit 151.000 Besuchern sogar 10.000 mehr als im Vorjahr.

In den städtischen Kunstsammlungen und im Germanischen Nationalmuseum machte sich das Wetter ebenfalls wenig bemerkbar; dagegen war der Touristenstrom auf der Burg kleiner als 1964. Er lag im Monatsdurchschnitt etwa um 1.000 unter den Vorjahreswerten. „Wenn es zu Hause regnet, ist es anderswo vielleicht schön“, sagten sich viele: in den Reisebüros spricht man deswegen von einer ausgezeichneten Saison. Obwohl viele, die eine Inlandreise machen wollten, sich im letzten Moment noch für südlichere Gestade entschlossen, nahmen die Umbuchungen nicht überhand. Für die Nachsaison sind die beliebtesten Ziele – hauptsächlich in Südtirol – fast völlig ausgebucht.

Für Kinos und Schirmhändler brachte der Regen in der Tat Segen. Der Besitzer eines renommierten Fachgeschäftes mit eigener Produktion teilte mit, daß die Wartezeiten für Schirmreparaturen zeitweise bis zu acht Wochen betrugen. Weil die Reparaturen – vor allem Neubespannungen – derart anschwollen, mußte für einige Zeit sogar die Herstellung neuer Schirme eingeschränkt werden. In den Filmtheatern stiegen die Besucherzahlen um 20 bis 30 v. H. „Das schlechte Wetter hat den Löwenanteil daran“, meinte ein bekannter Kinobesitzer dazu, „das relativ günstige Filmangebot dieses Sommers tat den Rest“.

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