24. Juli 1965: Der Sommerabend lockt: eine Rast im Grünen

24.7.2015, 07:00 Uhr
24. Juli 1965: Der Sommerabend lockt: eine Rast im Grünen

© Kammler

Draußen vor den Toren, zeigt sich die Rosenpracht in voller Schönheit. Die Waldluft ist rein und lüftet die Lungen; Bewegung beim Spazierengehen oder Beerenpflücken tut not, und das Hobby, das so manch einer hat, sorgt auch für den „Ausgleich im Kopf“. Wer nämlich diesen – freilich wetterwendischen – Sommer nicht lahm vergehen läßt, sondern sich aufrappelt, in seiner Freizeit das Weite zu suchen, der „verjüngt“ nicht nur das Herz, sondern auch den Verstand.

Es scheint, als wären die Nürnberger hierin ganz neuzeitliche Leute: sie streben hinaus – in die Schrebergärten, in die Wälder, auf Terrassen und lauschige Plätzchen im hauseigenen Revier. Was sie so alles anstellen, um das Wochenende zu genießen, zeigt unser Bericht. Wir waren bei zahlreichen Familien auf Schritt und Tritt dabei. Und wer Anregungen sucht, der findet sie. Denn das Leben ist bunt und interessant, man muß es entdecken.

„Nun komm schon, Mariela!“, ruft der 54jährige Bauführer Fritz G., daß es durch die Altbauwohnung in der Südstadt nur so hallt. „Pack endlich deine sieben Sachen zamm. Und vergiß die Thermosflasch´n und das Häckla net. Die nächst´ Straßenbahn müssen mir derwisch´n!“ Mariela, vollbepackt, brotzelt in der Küche vor sich hin: „Der reinste Kapo, der!“, rafft zusammen, was noch griffbereit herumsteht, schaut zum Herd (ja, das Gas ist aus!“) und eilt zur Tür, in der abmarschbereit ihr Bau- und Eheführer steht: groß, breit, 42-Stunden-Wöchner, erfolgreich und gebieterisch.

Es ist Samstag. Die Straßen sind vollgestopft und grau. Für Fritz und Mariela geht’s hinaus ins Grüne – ins Gärtla vor der Stadt. „Macht´s Fenster auf, laßt Luft herein . . .“, heißt die Devise, sobald die entfleuchten Großstädter auf ihrer kleinen Pachtinsel angelangt sind. Die freundliche Laube „atmet auf“ und die Rosenranke bis zum niedrigen Giebel zitiert zur Begrüßung. „Jetzt simma dou!“, sagt der stämmige Fritz, dehnt sich, daß es sein kariertes Oberhemd fast sprengt und stöhnt: „Uuu-aah!“ Sein Wochenendreich hat ihn wieder, und drinnen waltet züchtig die Hausfrau. Sie stellt nämlich gerade das Bier kalt. Fürs Fritzla. Natürlich.

„Sonst klappt´s nicht . . .“

„Das muß der Mensch haben, so ein bißchen ,Leben für sich´, auch Ruhe und Genüßlichkeit! Sonst klappt das nicht mehr mit dem Durchhalten die Woche über“, ruft der 47jährige Georg F. über den Kleingärtnerzaun. Der Schorsch ist Industriemeister und sieht von Montag bis Freitag nur „seine Fabrik“, dann aber hält ihn nichts mehr: er muß ins Freie. Patent, wie er ist, hat er sein Häuschen in der Kolonie so gut wie alleine aufgerichtet, schmiedeiserne Rosetten am Zaun angebracht und ein buntes Glasfenster an der Terrasse eingezogen. „Wissen´s“, sagt er, „solche Extraarbeiten, die spornen an. Sie schaffen den Ausgleich!“

Genauso denkt Frau Amalie D. aus der Helmholtzstraße 7, die sich nahe beim „Zauberwald“, der bis Herpersdorf reicht, ein stilles Plätzchen rund um eine „Nürnberger Laube“ gesichert hat. Zusammen mit ihrem Mann bastelt die frühere Mitarbeiterin im „Zählerbau“ eines großen Industriewerkes – 37 Jahre lang war sie dabei – an der 300 Quadratmeter großen Oase im Kleingartenbezirk „Königshof“ nahe der Saarbrückener Straße. Lachend erklärt sie: „Viel Lehrgeld haben wir schon bezahlen müssen, weil wir uns halt zum ersten Mal an ein Gärtla wagen. Wir werkeln dauernd im Kreise herum, aber Spaß macht´s – und die Ruhe hier, die ist ja sowieso Gold wert!“

Tatsächlich wirkt die erweiterte Anlage im „Königshof“-Gelände – fast 70 Kleingärten sind zu den bestehenden 480 hinzugekommen – wie ein verzaubertes Reich, das mit Großstadt, Lärm und Hetze nichts mehr gemein hat. An diesem Wochenende wird das alljährliche Sommerfest gefeiert, mit Lampions, Musik und Schlendrian. Quer durch die Gartenwege geht es da, und der wilde Ginster wird verführerisch durften. Fachsimpler werden im Rosenmonat über Stauden und Blüten sprechen, und vielleicht wird dabei gar Adenauer als alter Rosenzüchter eine Rolle spielen.

In allen Kleingärten, die Nürnberg aufzubieten hat – gegenwärtig 8.000, die über 2.563.943 Quadratmeter Gelände verfügen –, steht jetzt das Sommerfest bevor (heute und morgen auch in der Daueranlage „Goldbach“ in der Bertastraße), und es wird glücklich gefeiert werden. Die Stimmung steigt, auch wenn es für die Hälfte der Besitzer das letzte Gartenfest sein sollte, denn ihr schmuckes Reich blüht auf. „Zeitgelände“; es kann als Baugebiet eines Tages gekündigt werden.

An der Spitze in Bayern

Trotz dieser weiterhin drohenden Verluste – „Die Stadt sorgt immer wieder für Ersatzgelände!“, lobt Verbandgeschäftsführer Heinz Neußner –, steht die Franken-Metropole an der Spitze der „Kleingärtner-Bewegung“ in Bayern. Sie liegt im Verhältnis (zur Einwohnerzahl) mit einem Kleingarten auf 18 Einwohner beispielsweise vor München. Die Landeshauptstadt, das Millionendorf, hat nämlich auch nur 8.000 Kleingärtner.

Trotzdem können nicht alle ihren Traum vom Schrebergarten wahrmachen – der Arzt Moritz Schreber begründete in der Mitte des 19. Jahrhunderts übrigens den ersten nach ihm benannten Verein –, weil nicht genügend Land dafür vorhanden ist. Eine lange Anmeldeliste, meist von jüngeren Familien, liegt beim Stadtverband der Kleingärtner auf; für Langwasser werden sogar 250 Vormerkungen registriert. Aber solange gerade hier noch Amerikaner mit ihren Fahrzeugen Kurven ziehen, können keine Früchte im Eigenbau wachsen.

Heuer entsteht jedoch die neue Anlage „Rehhof“ am Fuße des Schmausenbuck. Die ersten Gärten erhalten schon ihr individuelles Gesicht – und das sieht, im Gegensatz zum früheren Kleingarten, in dem in erster Linie Obst-, Gemüse- und Kleintierzucht getrieben wurde, folgendermaßen aus: weite Rasenfläche, abgesteckt mit Koniferen und Sträuchern, Blumenrabatte und Birkengruppe, Steingarten und Rosenbeet. Hin und wieder sieht man Erdbeerpflanzen und ein Kräutergärtlein. „Nix wie Frieden und Behaglichkeit wollen wir hier draußen!“, sagt Frau Ilse H., die sich am Marienberg-West angesiedelt hat. Jedes Wochenende verbringt sie mit ihrer Familie rund um das selbstgezimmerte „Hexenhäusel“.

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