26. April 1966: Mit russischen Augen

26.4.2016, 07:00 Uhr
26. April 1966: Mit russischen Augen

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Nachdem die Gruppe morgens eine Spielwarenfabrik besichtigt und nachmittags eine Stadtrundfahrt durch das neue Nürnberg gemacht hatte, besuchte sie abends die "Nürnberger Nachrichten" und führte hier Gespräche über die Presse in Deutschland. Verleger und Mitherausgeber Dr. Joseph Drexel begrüßte die Gäste und beantwortete ihre Fragen.

Ein wenig ermüdet von all den Reisestrapazen – die Städte Hannover, Frankfurt, Stuttgart, Esslingen und München hatten sie seit 13. April bereits gesehen – kamen die 16 männlichen und sieben weiblichen Delegierten aus der UdSSR bereits am Sonntag in Nürnberg an. Mobil wurden sie aber wieder, als sie in Fürth das – zwar nicht ereignisreiche – Fußballspiel Spielvereinigung - Kickers Offenbach erlebten; von den Rängen riefen sie unentwegt "dawai" (schnell!).

Am Sonntagabend, als sie auch die Nürnberger Bratwürste geschmeckt hatten, waren sie mit 60 mittelfränkischen "Falken" im Mautkeller beisammen, von denen 40 am 7. Juli zum Gegenbesuch nach Moskau starten. Auch diese Jugendlichen werden 16 Tage lang im Gastland bleiben.

Das "Kind im Manne" erwachte vor allem unter den durchschnittlich 28-jährigen Sowjetrussen (darunter Studenten, Lehrer, Maschinenbauer, Ärzte und Ingenieure), als sie in der Spielwarenfabrik Schuco mit kleinen Autos hantierten. Gestärkt durch ein Mittagessen im "Hax´n-Grill", setzten sie sich erneut in den Bus eines Moerser Reisedienstes (er schaffte auf der Studienfahrt zweieinhalbtausend Kilometer) und sahen sich die Wohnsiedlung in Langwasser, das ehemalige Reichsparteitagsgelände sowie die Meistersingerhalle an.

Die Erklärungen zu allem Sehenswerten gab Stadtrat Kurt Schuster, Ingenieur beim Hochbauamt, der von den "Falken" um diesen Dienst gebeten worden war; ins Russische übersetzte seine Worte die sowjetische Dolmetscherin Galina. Sie sorgte auch für Rede und Antwort auf viele Fragen, die besonders vor der Tribüne im früheren "Aufmarschgelände" und später vor dem Torso der Berliner Mauer auf dem Hauptmarkt gestellt wurden.

Der Stadtrundgang ließ sich ein wenig schwerfällig an, weil längere Zeit für den Bus kein Parkplatz gefunden werden konnte. Doch dann war endlich für die Russen, darunter auch eine Journalistin, die für ihr Blatt "Sowjetisches Armenien" schreibt, die Frauenkirche, der Schöne Brunnen und die Burg zu sehen. "Nürnberg erinnert mich an Tallin in Estland", sagte ein 25-jähriger Bürger Moskaus, der Deutschlehrer werden will; "es ist schön hier und eindrucksvoll, aber besser und wichtiger sind noch die Gespräche"!

Ehe die Sowjets heute gegen 14 Uhr Nürnberg verlassen, um an ihren Zug an der Grenze von Helmstedt gebracht zu werden, haben sie noch Gelegenheit, weitere „Souvenirs“ einzukaufen, die sie bevorzugen: Schuhe und Schallplatten, Spielzeug und Kleider. Nur für die beliebten Wildwest- oder Liebesfilme, die sie in Moskau, Gorki und Swerdlowsk nicht zu sehen bekommen, wird keine Zeit mehr bleiben...

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