27. Juli 1965: "Bonbons" sehr gefragt

27.7.2015, 07:00 Uhr
27. Juli 1965:

© Friedl Ulrich oder Hans Kammler

Wie zu erwarten, setzte der Trubel – hier heftig, dort gemäßigt – punkt 8 Uhr ein. Das Kaufinteresse konzentrierte sich auf „Bonbons“ unter der luftigen Ferienkleidung, die im heuer wetterwendischen Sommer in riesigen Mengen angeboten wird.

Die Preisabschläge bewegen sich zwischen 30 und 80 v. H. je nach Artikel. Modisch betonte Ware – nächstes Jahr zwar nicht mehr „aktuell“ – ist am billigsten zu haben; sie ging auch schon am ersten Tag zügig weg. Devise der Kunden: das Warten hat sich gelohnt.

Die Frühaufsteher (meist -innen) hatten das jeweils ausgesuchte Schlachtfeld quasi unberührt vor sich. Ihr Sturm auf die Barrikaden – hochgetürmte Oberhemden und Unterkleidchen, hauchdünne Strümpfe und dicht gewirkte Bademäntel einschließlich Netztrikots – führte zu manchem Sieg in der Geldbeutelstrategie. Der Etat wurde erfolgreich ausgeschöpft, ob allerdings auch immer nützlich, – das wissen die Götter.

Die Erfahrung erweist, daß aus einem Sog keiner so schnell wieder herauskommt. Das war auch gestern mancherorts der Fall. „Ballungsräume“ ergaben sich beispielsweise vor den Tischen, auf denen sich Hüte schon ab 1,50 DM stapelten. Massenhaft wurden vom vielen Aufprobieren die Frisuren zerzaust: zwanzig machten es vor, dreißig standen dahinter auf Warteposten. Der Erfolg war der, daß sich sogar eine Gruppe Bäuerinnen in Tracht solch verwegene „Pfiffer“ aus Stroh geschlossen kaufte. Ob sie jemals getragen werden? Die spitzen Schuhe auch?

Sinnvolle Besorgungen herrschten jedoch vor, denn auch jene, die am 26. eines Ferienmonats noch „flüssig“ sind, rangen um den echten Gegenwert für ihre nicht mehr ganz so harte Mark. Sie waren wie in Großmutters soliden Zeiten auf Damast und reine Seide aus, auf Qualität und Quantität. Sie „kassierten“ Frottiertücher – mit geübtem Griff zuvor erprobt – schon für eine Mark das Stück, Slips für 65 Pfennig, Trägerschürzen für 33 Pfennig mehr, Pullis zu drei Mark und ärmellose Kleider gar schon um ebensowenig Geld, „Miß-Germany-Figur“ allerdings vorausgesetzt. Ihm, dem Gatten und Gönner der Einkaufslust, bringen sie ein Paar Kurzsocken für 95 Pfennig mit. Aber neben Stoffen, Gardinen, Teppichen und Aussteuerware, alle miteinander außerordentlich preisgünstig zu haben, ist auch für Männer ein interessantes Rennen im Gange, sofern sie sich auf billige Tour in Schale stürzen wollen: Anzüge, kunstfaserleicht und durchaus apart im Muster, hängen jetzt schon für knapp 50 Mark auf der Stange; Nylonhemden mit halbem Ärmel sind bereits für 5,90 Mark zu haben, und alles das, was noch „drunter“ kommt, gibt’s noch um vieles billiger. Spezialgeschäfte kündigen Einzelstücke an, nämlich Sommer- und Freizeitkleidung, auch Mäntel und Hosen. Mangelhaft männliche Initiative dürfte sich entfalten.

Die ganze Stadt hat ein großes Ausverkaufsfieber gepackt. „Man staunt, wo die Leute das Geld herhaben!“, sagt versonnen eine Hausfrau vor sich hin und blickt weniger mit neidischem, als mit leerem Blick den dicken Einkaufstaschen nach, die ihre Zeit- und Zahlgenossinnen schleppen. So wird es noch zwei Tage zugehen, dann aber rüsten sich die Monatseinkünftler“; sie gehen auf die Stoppelfelder zur letzten Lese. Keine Bange: heuer fällt sie nicht gering aus. Die Warenlager drohen zu bersten. „Es ist noch alles drin!“, beschwichtigt der Geschäftsführer eines Kaufhauses, obwohl gestern Millionen Mark um- und abgesetzt wurden. „Bei diesem Schlußverkauf bleibt sogar noch etwas übrig!“

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