28. November 1967: Ein Schornstein mit Mängeln

28.11.2017, 07:00 Uhr
28. November 1967: Ein Schornstein mit Mängeln

© Ulrich

Die Bauordnungsbehörde hat den Bau, der rund 20 Meter über den Boden hinausgekommen ist, einstweilen gestoppt, weil die entnommenen Mörtelproben nicht den Anforderungen genügten. Es bedarf keiner großen Prophetengabe: der Stumpf muß voraussichtlich wieder abgerissen werden.

Die vorgesehenen Termine – Probelauf ab August 1968 und drei Monate später der volle Betrieb – können kaum eingehalten werden, ganz zu schweigen von einer Antwort auf die schwierige Frage, wer für den Fehler geradestehen und letzten Endes zahlen muß. Der Schornstein kostet – nach Ansicht von Fachleuten – in seiner vollen Höhe die runde Summe von etwa einer halben Million Mark.

Zunächst jedenfalls haben die Kritiker Oberwasser bekommen, die schon gezweifelt hatten, als bei der Vergabe das billigste Angebot zum Zuge kam: „Kann man zu diesem niedrigen Preis eine Kamin bauen, wie wir ihn gerne haben möchten?“

Spätesten vor einigen Wochen, als der Bau- und der Verkehrsausschuß vereint zur U-Bahn-Besichtigung nach München reisten, wurde der Beobachter auf die Kamin-Geheimnisse aufmerksam. Verstohlen blickten die Stadtväter aus dem Fenster, als ihr Salonwagen am Torso neben der Bahnlinie vorüberrollte. Am Schornstein, der 100 Meter hoch werden uns sich ab einer Höhe von 85 Meter wie eine Tulpe öffnen soll, rührte sich keine Hand.

Was war geschehen? Es waren Mörtelproben entnommen worden, bei deren Untersuchung in der Bayerischen Landesgewerbeanstalt sich herausgestellt haben soll, daß sie nicht die notwendige Druck- und Biegezug-Festigkeit besitzen. Außerdem sollen am Schonstein die Fugen zu groß und breit geraten sein. Gerade aber an das unterste Stück müssen – was Druckfestigkeit und Elastizität angehen – die größten Anforderungen gestellt werden.

Gericht wird eingeschaltet

Der Ärger war groß unter den Stadträten, als sie vom Malheur informiert wurden. Seit einigen Tagen sprechen sie – die Untersuchungsergebnisse der BLGA haben keinen richterlichen Beweiswert – von einem gerichtlichen Beweissicherungsverfahren, von Sachverständigen, die hinzugezogen werden müßten, und wandten sich an den Oberbürgermeister. Innerhalb von 14 Tagen soll der EWAG-Aufsichtsrat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten. Die CSU-Stadtratsfraktion pflegt intensive Ermittlungen, die bereits mit dem Standort des Schornsteins beginnen, und bereitet größere Anfragen im EWAG-Aufsichtsrat und im Stadtratsplenum vor.

Dr. Ing. Heinrich Novak vom EWAG-Vorstand sieht dagegen die Dinge in einem rosigeren Licht. „Der Bau ist vorläufig eingestellt worden. Das hängt damit zusammen, daß die Materialproben nicht hundertprozentig entsprachen“, erklärt er und fährt fort: „Zur Zeit laufen Verhandlungen mit der Baufirma, um die Sache in Ordnung zu bringen und mit dem Ziel, daß im Endeffekt bei Betriebsbeginn ein ordentlicher Kamin steht. Es ist selbstverständlich, daß die Stadt keinen Pfennig mehr ausgibt, als der Schornstein ohnehin gekostet hätte.“

Ob er oder die Pessimisten letzten Endes recht behalten, wird sich in den nächsten Wochen sicherlich herausstellen.

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