29. Juli 1965: Geschäfte machen "Schotten" dicht

29.7.2015, 07:00 Uhr
29. Juli 1965: Geschäfte machen

© Hans Kammler

In allen Stadtteilen sieht man diese Plakate in zunehmender Zahl; straßauf, straßab reihen sie sich wie Perlen an einer Schnur. 1965 bringt den Rekord urlaubswilliger Geschäftsleute vor allem kleiner und mittlerer Betriebe. Der Grund: sie fühlen sich „reif“, um endlich einmal auszuspannen, und sie haben auch kein Personal, das sie vertritt.

„S´ muß mal sein!“, stöhnt ein Metzgermeister in Steinbühl und läßt die Jalousien an den Schaufenstern herab. Noch ehe er die Tür schließt und den Schlüssel mit Wonne herumdreht, ruft er: „Jetzt mach ich´s wahr, was mein Lehrherr vor 15 Jahren schon zu mir gesagt hat: Arbeiten und Geldverdienen ist wichtig, das Ausspannen aber noch mehr!“ Eine Gärtnerin in Schniegling bindet in ihrem kleinen Laden den letzten Strauß Rosen. „Dann ist für 14 Tage endlich Ruhe – nach 20 Jahren zum ersten Mal! Und die Bäckersfrau in der Johannisstraße lacht befreit: „Zwei Wochen lang mal keine Berge von Weckla mehr sehen, das ist eine Wohltat!“

29. Juli 1965: Geschäfte machen

© Hans Kammler

Jakob Steekelenburg, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes, sagt zu dem wachsenden Bedürfnis der Mitglieder, im Juli und August Betriebsurlaub einzulegen: „Es erklärt sich ganz einfach aus der Diskrepanz zwischen Verkaufs- und Arbeitszeit. Die Geschäfte sind 56 bis 70 Stunden in der Woche geöffnet; die festgelegte Beschäftigungsgrenze liegt aber bei gegenwärtig 42 Stunden – wie soll allein dieses Problem gelöst werden, geschweige denn in der Hauptferienzeit, vor allem bei Berufsschülern, die jetzt ihre Lernpause haben?! Auch ,Teilzeitkräfte´ können in diesem Dilemma nichts mehr retten!“ Für alle Beteiligten ist es deshalb am besten, die Ladentür gleich abzusperren.

Aber auch etliche Wirtsleute sind dazu übergegangen, Ferien von der Wurstküche zu machen. Sie schließen – zwangsläufig – ihre Stammtischler aller Kategorien für kurze Zeit aus und überlassen sie ihrem Schicksal. Selbst Kinotheaterbesitzer sind energisch geworden; sie schicken in den Augustwochen ihre treuen Parkettbesucher ins Freie, auf daß sie sich dort vergnügen. Weithin leuchtet vom breiten Giebel der „Schauburg“ in der Grolandstraße die Inschrift „Wir spannen aus! Betriebsferien“. Das steht in großen Lettern genau dort, wo kurz zuvor der Filmtitel zu lesen war: „Schüsse aus dem Geigenkasten“.

29. Juli 1965: Geschäfte machen

© Hans Kammler

„Schüsse“ sind´s schon, die da leise knallen, wenn der altgewohnte Geschäftsmann plötzlich nicht mehr da ist, aber der Verbraucher normaler Prägung sieht es ein, daß eben jeder mal Ferien braucht. Ganz Schlaue, die sich ihre telephonierenden Kunden nicht vergrämen wollen, haben eine „Beruhigungspille“ parat: wenn man ihre Rufnummer auf der Drehscheibe gewählt hat, dann sagt eine sehr flotte Damenstimme: „Bitte rufen sie den Fernsprechauftragsdienst – tatütata!“

Die Versorgung der Bürger leidet nicht, wenn einige hundert Geschäftsleute verreist sind. Die Ausflügler kommen ja wieder und tun dann mit frischer Kraft erneut ihre Pflicht. Große Freude haben auch sie, wenn sie von ihren Kunden als „Heimkehrer“ wortreich empfangen werden. Der „Trott“ ist ohnehin schnell wieder da . . .

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