29. Mai 1968: Wer hilft wunde Punkte heilen?

29.5.2018, 07:00 Uhr
29. Mai 1968: Wer hilft wunde Punkte heilen?

© Gerardi

In Aufrufen und „gezielten“ Schreiben wollen sie in den nächsten Wochen vor allem die Besitzer von nicht oder nur provisorisch bebauten Grundstücken auffordern, dem „unwürdigen Zustand“ ein Ende machen.

Die Stadt selbst wird in den nächsten zwei Jahren je 150 bis 170 Millionen DM (einschließlich der Zuschüsse von Bund und Land) verbauen, damit sich Nürnberg am 500. Geburtstag seines größten Sohnes sehen lassen kann. Für ein paar prominente Plätze zeichnet sich – eine bessere Zukunft ab: auf dem Rathenauplatz entsteht die neue Oberpostdirektion (Baubeginn 1969); die Lücke am Kulturverein wird von der Allgemeinen Ortskrankenkasse gefüllt; auf dem Platz vor dem Heilig-Geist-Spital errichtet die Dresdner Bank einen Neubau.

Ein Blick auf triste Fronten

Der Ideenwettbewerb für die Eingangspforte zur Altstadt, die Mauerzone zwischen Königstor und Norishalle, wird Anfang August schon entschieden, so daß bis 1971 ein neues Kultur- und Geschäftszentrum fertig sein kann. „Die Verhandlungen mit der Bayerischen Versicherungskammer als künftigem Bauherrn laufen weiter positiv“, betonte der Oberbürgermeister.

29. Mai 1968: Wer hilft wunde Punkte heilen?

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Der Freistaat Bayern schreibt in wenigen Wochen einen Wettbewerb für die 6. Fakultät auf dem Gelände der ehemaligen Tucherbrauerei aus, so daß dort bald die Schornsteine verschwinden können. „Wir wollen erst bauen, und uns dann darüber auseinandersetzen, wer das Projekt bezahlt“, versicherte Dr. Urschlechter.

Je besser diese Aussichten, desto provinzieller müssen einige Straßenzüge und Ecken erscheinen. Bei einem „Gedanken-Spaziergang“ zeigt Baureferent Schmeißner besonders wunde Punkte auf: in der König- und Karolinenstraße eine ganze Reihe von Ladenprovisorien, die über das Erdgeschoß nicht hinausgekommen sind und den Blick auf triste Rückfronten freigeben; Ecken am Sterntor, an beiden Enden der Theatergasse, an der äußeren Laufer Gasse zum Rathenauplatz und am Hefnersplatz, die hochgezogen werden sollten; Lücken rund um das Dürer-Haus, der Pilgerstätte im Jubeljahr, auf der Südseite des Plärrers beim Fembohaus und auf der Südseite des Theresienplatzes; den „Verhau“ westlich vom Kornmarkt und in der Allersberger Straße, wo sich gute Neubauten und alte Hütten kontrastreich gegenüberstehen.

In manchen Fällen ist der Tag nicht mehr fern, an dem es aufwärts gehen soll. Zwei Geschäfte am Anfang der Karolinenstraße wollen ihre Häuser hochziehen und damit ein Beispiel geben; am Sterntor soll eine Teilruine besseren Zeiten entgegengehen; am Theresienplatz „läuft“ ein Projekt an; auf dem Kornmarkt wird die IG-Metall gegenüber vom Bibliotheksbau des Germanischen Nationalmuseums ein neues Verwaltungsgebäude errichten; für die Ecke Laufer Gasse / Rathenauplatz bestehen konkrete Pläne.

Noch ungewiß ist, ob die Südseite des Plärrers bis zu Dürers runden Geburtstag „steht“, ob die Kurt-Schumacher-Straße bis zum Kornmarkt durchgebrochen wird und damit der Einbahn-Kreisel in der Innenstadt voll läuft, ob dieser oder jener Wunsch der Stadt noch erfüllt werden kann. Die Bauverwaltung will aber auf jeden Fall die Stadtmauer – vor allem das beschädigte Vestnertor – in unmittelbarer Nähe des Dürer-Hauses in Ordnung bringen und die Katharinen-Kirche soweit herrichten, daß sie für Veranstaltungen unter freiem Himmel zu benutzen ist.

„Wir haben noch zwei Baujahre (1969/70) vor uns, so daß es gelingen müßte, einen Teil der wunden Punkte zu heilen“, meint Baureferent Heinz Sehmeißner, der „die Maschinerie der Bürokratie gleich richtig in Gang zu setzen und mit den betroffenen Grundstücksbesit-zern geschmeidig zu verhandeln“ verspricht. Oberbürgermeister Dr. Urschlechter ist entschlossen, alle Energie der Verwaltung dareinzusetzen, damit die Stadt nicht nur in groben Zügen, sondern auch in Feinheiten ein schönes Gesicht bekommt. Er ermuntert die privaten Hausbesitzer zum Bauen mit den Hinweis, daß es wieder genug Kredite gibt und die Kaufkraft der Bevölkerung steigt. Die Bauverwaltung hat ohnehin Pläne genug in der Schublade: angefangen von neuen, breiten Straßen und Plätzen und Brücken (Nopitsch- bis Bucher Straße über den Wöhr-der See bis zum Europa-Kanal. Sie versichert: „Wir werden diese Aufgaben mit aller Energie angehen!“

Im Dürer-Jahr soll sich Nürnberg den Gästen aus (hoffentlich) aller Welt schließlich von seinen besten Seiten zeigen.

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