3. September 1966: Jetzt brechen die mageren Jahre an

3.9.2016, 07:00 Uhr
3. September 1966: Jetzt brechen die mageren Jahre an

© Gerardi

Er hat den drei Stadtratsfraktionen vorgeschlagen, daß sie in der ersten Plenarsitzung nach den Sommerferien beschließen mögen:

1. Im Jahre 1967 werden keine Hochbauten mehr begonnen

2. Im Tiefbau werden nur noch Pläne verwirklicht, die dazu dienen, die Wirtschaftskraft zu erhalten und damit die Finanzkraft der Stadt zu stärken.

3. Der ordentliche Haushalt für 1967 darf sich nur um fünf bis sechs v. H. gegenüber diesem Jahr erhöhen.

4. Der außerordentliche Haushalt, aus dem die Masse der Bauten finanziert wird, darf in den nächsten zwei Jahren nicht mehr als 100 Millionen Mark ausmachen.

5. Von einem Baustopp sollen alle Projekte verschont bleiben, die bis zum 1. September 1966 angefangen waren, sofern es die finanzielle Situation zuläßt.

6. Die Verwaltung stellt bis Oktober 1967 eine Dringlichkeitsliste auf, in die alle lebenswichtigen neuen Bauvorhaben für die folgenden drei Jahre aufgenommen werden.

Wenn der Stadtrat diesen Vorschlägen Ende September zustimmt, so führt dies zu einschneidenden Folgen. Das zweite Krankenhaus im Süden und eine Reihe geplanter Schulen (darunter der dringend notwendige Erweiterungsbau für das Sigena-Gymnasium) sind vorerst gestrichen. Die Schnellstraße kann nur weitergeführt werden, wenn Bund und Land die zugesicherten Zuschüsse geben. Der Bau einer U-Bahn nach Langwasser ist davon abhängig, daß sich der Freistaat Bayern daran mit 40 v. H. der Kosten beteiligt. Hingegen will die Stadt alle Kraft darauf verwenden, den Hafen für die Großschiffahrtsstraße Rhein-Main-Donau zu bauen; sie muß dafür bis 1970 etwa 90 Millionen Mark (die Hälfte der Bausumme) aufbringen.

3. September 1966: Jetzt brechen die mageren Jahre an

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Als Oberbürgermeister Dr. Urschlechter gestern mittag die Vorstellung der Verwaltung über das einschneidende Sparprogramm vor der Öffentlichkeit erläuterte, da trafen seine Brandbriefe gerade auch bei den drei Rathausfraktionen ein. Aus ihnen konnten die Stadtväter herauslesen, daß das Nürnberg von 1970 längst nicht so aussehen wird, wie sich das einige Optimisten mit überschwänglicher Phantasie noch in der jüngsten Vergangenheit ausgemalt hatten. Die Stadt kann sich beispielsweise den Wunschtraum eines Sees in Wöhrd überhaupt nur erfüllen wenn ihr der Bezirk Mittelfranken dazu Geld für die Hochwasser-Freilegung der Pegnitz gibt. Bei der allgemeinen finanziellen Misere steht jedoch zu befürchten, daß künftig überall kürzer getreten werden muß und die Zuschüsse auch von oben nach unten spärlich fließen.

Der Oberbürgermeister versuchte den Eindruck zu verwischen, als sei die Stadt bankrott. "Wir hätten noch weitere Schulden machen können, denn nach einem amtlichen Gutachten wäre es möglich gewesen, Darlehen von 80 Millionen Mark aufzunehmen", meinte Dr. Urschlechter, doch bei den Bedingungen auf dem Kapitalmarkt (nur 75 v. H. Auszahlung bei einem Prozent mehr Zins) habe man davon absehen müssen. Nürnberg hätte nämlich nur 55 bis 60 Millionen ausbezahlt bekommen, wenn es Verpflichtungen über 80 Millionen Mark eingegangen wäre. "Wir handelten wie gute Kaufleute und nahmen keine Kredite mehr auf", erklärte das Stadtoberhaupt.

Dieses Verhalten hat dazu geführt, daß der außerordentliche Haushalt heuer um 40 Millionen Mark zusammengestrichen worden ist und nur noch 106 Millionen Mark ausmacht, von denen 95 Millionen bereits finanziert sind. Um alle begonnenen Bauten weiterführen zu können, sind in den nächsten zwei Jahren 100 Millionen Mark nötig, so daß der außerordentliche Etat kaum noch höher als 50 Millionen Mark steigen wird. "Wenn sich die Lage auf dem Kapitalmarkt bis Ende 1967 nicht entspannt, fällt auch 1968 der Hochbau aus", prophezeite Dr. Urschlechter.

3. September 1966: Jetzt brechen die mageren Jahre an

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Der Tiefbau mit seinen großen Aufgabengebieten Straßen und Kanalisation hat eindeutig den Vorrang erhalten, denn alles verbleibende Geld wird in den Boden gesteckt. Er darf schließlich auch jedes Jahr mit einem hohen Betrag aus München rechnen, der ihm vom Anteil der Gemeinden an der Kraftfahrzeugsteuer zufällt. Diese Mittel sollen aber nur dort eingesetzt werden, wo für die Wirtschaft oder neue Wohnsiedlungen etwas herausspringt. Den Hafenbau und die Erschließung neuer Wohngebiete, vor allem im Norden, nannte Dr. Urschlechter als besonders dringliche Projekte. Siedlungen zu erschließen, ist für die Stadt obendrein nicht besonders kostspielig, weil die Anlieger 90 v. H. der Kosten tragen müssen.

Der Hafen stellt Nürnbergs erste Hoffnung für eine neue wirtschaftliche Blüte dar, für die jeder Preis hingenommen wird. "Wir bleiben hart", versicherte der Oberbürgermeister angesichts der Verhandlungen mit dem Landkreis Schwabach über eine Fläche von 131 Hektar südlich der Bundesstraße 14, die als Industriegebiet eingemeindet werden soll.

Im Hafenvertrag mit dem Staat, der im kommenden Winter zur Unterzeichnung ansteht, hat sich die Stadt bereit erklärt, diese Fläche mit 18 bis 20 Millionen Mark zu erschließen, einem Betrag, der von einer kleinen Gemeinde des Landkreises nie und nimmer aufgebracht werden könnte. Nürnberg investiert in den Hafen bis 1969/70 insgesamt 90 Millionen Mark und ist der frohen Erwartung, später einen Teil dies Geldes über die Gewinne zurückzubekommen.

Keine Entlassungen

Der Rotstift wird sogar am ordentlichen Haushalt angesetzt, um Mittel für den Hafen freizumachen. So sollen die städtischen Drucksachen einheitlicher gestaltet und dadurch jährlich Postgebühren von etwa 200.000 Mark gespart werden. Der Etat des Amtes für Veranstaltungen und Ehrungen wurde um zehn Prozent gekürzt. Im "Amtsblatt" will die Verwaltung künftig nicht mehr die Stadtratsberichte im Wortlaut veröffentlichen, so daß 40.000 bis 50.000 Mark weniger für Papier nötig sind. Bei den Dienstreisen bleibt es beim "bisherigen strengen Maßstab", der selbst Dr. Urschlechter veranlaßt hat, im Frühjahr auf eine Einladung nach Bangkok zu verzichten.

"Unsere Bediensteten brauchen jedoch keine Entlassungen zu befürchten", versicherte der Oberbürgermeister. Das Personal sei ohnehin schon so knapp gehalten, daß in vielen Bereichen Überstunden gemacht werden müßten. Das Augenmerk der Sparer richtet sich vornehmlich auf technische Einrichtungen und Inventar. Wo sonst noch überall die letzten Pfennige zusammengekratzt werden sollten, wollte der Oberbürgermeister noch nicht verraten, um nicht vorzeitig ein "Männleinlaufen" der betroffenen Gruppen in Gang zusetzten.

Er erklärte jedoch, es bleibe das Endziel des Referentenkollegiums, dringliche Bauten später auch einmal über den ordentlichen Haushalt finanzieren zu könne. Es wird sich zeigen, wie weit die Stadträte bereit sind, diesen Vorschlägen zu folgen. Dr. Urschlechter glaubt jedoch annehmen zu dürfen, daß die Fraktionen mit ihm einer Meinung über den Ernst der Lage sind und vorübergehen selbst noch im Kleinen sparen wollen.

Auf die Dauer möchte er selbst eine solche Konzeption nicht vertreten, die ihm große Verantwortung aufbürdet: so lange die Finanzen derart schlecht stehen, muß der Oberbürgermeister überprüfen, ob ein Beschluß des Rates überhaupt vollzogen werden kann Da eine durchgreifende Finanzreform wohl noch auf sich warten lassen wird, bleibt dem Stadtoberhaupt gar nichts anderes übrig, als an der Bremse zu sitzen.

Die Bürger freilich müssen sich daran gewöhnen, daß die fetten Jahre vorbei sind, daß die Stadtverwaltung jeden Pfennig zweimal umdrehen will, und daß nicht alle Wünsche auf einmal erfüllt werden können.

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