31. Dezember 1965: Tanne für Kossygin

31.12.2015, 07:00 Uhr
31. Dezember 1965: Tanne für Kossygin

© Ulrich

Mit fünf Ländern werden Pakete ausgetauscht: mit der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, der Mongolischen Volksrepublik, mit Nordkorea und der Volksrepublik China. Oft liegen zwischen Aufgabe- und Bestimmungsort 10.000, 20.000 und mehr Kilometer: alle Sendungen dieser Art, auch aus Südamerika und Kanada, die auf dem Landweg durch Deutschland für diese Länder bestimmt sind, müssen Nürnberg passieren. Insgesamt gibt es in der Bundesrepublik 17 solche Umschlagplätze, die alle in Grenznähe liegen. Die Nürnberg-Route ist zweifelsohne die interessanteste.

Auch nach den Weihnachtsfeiertagen türmen sich die Sendungen zu Bergen. Oft werden an zwei Tagen rund 1.500 Stück abgefertigt. Für die Beamten ist die Arbeit zwar ungemein fesselnd, aber auch mühevoll: jedes Auslandspaket ist in eine Frachtliste einzutragen; es muß darauf geachtet werden, daß es richtig frankiert ist; es wird zwischen den Gewichtseinheiten ein, drei, fünf, zehn, 15 und 20 Kilogramm unterschieden. Für die Freimachung gilt die internationale Währung (Goldfranken = 1,307 DM). Jedes Land schickt eine monatliche Abrechnung an das Weltpostamt, das den Ausgleich vornimmt. Der Schriftverkehr wird in französischer Sprache geführt, damit kein Sprachgewirr wie beim Turmbau zu Babel entsteht.

In der Regel werden die Pakete und Päckchen in Postsäcke verpackt und versiegelt: lediglich in die CSSR werden sie offen in den Paketwagen geschichtet. Meistens enthalten die Sendungen in die angeführten Länder Handelsware. Aber es sind auch Geschenke dabei: in der Auslandspackkammer verraten die Düfte, daß auch Obst, Lebkuchen usw. verschickt werden. Ferner passiert viel Fachliteratur, vor allem in die Tschechoslowakei die Grenze zwischen Ost und West.

Im Verhältnis entfallen auf 1.500 Sendungen in den Osten nur 500 in die umgekehrte Richtung. Alle Pakete und Päckchen, die in Nürnberg ankommen, werden an die zuständigen Zollorte weitergeleitet. Natürlich kann der Kunde auch der Post die Zollabfertigung überlassen. Wie weit die Brüder und Schwestern im zweigeteilten Deutschland auseinanderstehen, beweist die Tatsache: in alle Ostblockländer können versiegelte Wertpakete bis zu 100.000 DM verschickt werden, in die Ostzone – nicht!

Einmal im Jahr werden hüben und drüben die Weltanschauungen vergessen: man schickt sich Glückwunschkarten zu Weihnachten. Heuer trafen bei Oberamtmann Ludwig Müller, dem Leiter des Postamts 3, Botschaften aus Prag, Japan, China, Moskau und – eine rote Karte aus China ein. Sie war nur mit chinesischen Schriftzeichen versehen. Offenbar werden Nürnbergs Postbeamte selbst des Chinesischen für kundig gehalten. Indes: bis jetzt ist noch niemand hinter den Sinn des Textes gekommen.

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