4. Dezember 1965: Christkind eröffnet seinen Markt

4.12.2015, 07:00 Uhr
4. Dezember 1965: Christkind eröffnet seinen Markt

© Ulrich

Wie in jedem Jahr, waren auch gestern Tausende auf den Hauptmarkt gekommen, um bei der Eröffnung des Christkindlesmarktes dabei zu sein. Männer, Frauen und Kinder drängten zwischen den Buden und auf der breiten Südterrasse, beugten sich aus den Fenstern der Häuser am weiten Geviert und teilten die Ungeduld der Kinder, die erwartungsfroh „Christkindlein, komm halt!“ riefen.

Grelles Scheinwerferlicht tastete schon ab 17 Uhr das gotische Bogenwerk der Frauenkirche ab, erlosch wieder, um sich später noch konzentrierter auf die himmelblau verkleidete Empore zu richten. Die Beleuchtungsproben bestätigten den Nürnbergern, welch seltene Aufmerksamkeit Fernsehgesellschaften in aller Welt dem ältesten und schönsten deutschen Weihnachtsmarkt schenken. Neun Kamerateams waren gekommen. Zwei amerikanische Gesellschaften drehten sogar Farbaufnahmen. Selbst in Holland und Japan wird die Eröffnung des Christkindlesmarktes auf den Bildschirmen gezeigt.

Fünf Minuten vor halb sechs erloschen die Lichter. Als zwei Glockenschläge das Ende der Wartezeit ankündigten, gestatteten eilig dahinziehende Regenwolken dem Mond einen kurzen Blick auf den beginnenden Christkindlesmarkt. Den Schnee als romantische Zugabe hatte die Natur einmal mehr der festlichen Stunde versagt.

4. Dezember 1965: Christkind eröffnet seinen Markt

© Ulrich

Als die hellen Fanfarenklänge verklungen waren, erinnerten Posaunenbläser des CVJM alt und jung aus dem Dunkel an das Ros, das mitten im kalten Winter entspringt. Die Kinder der Städtischen Singschule griffen die Botschaft auf und kündeten das Geheimnis der stillen und heiligen Nacht. Von der hell erleuchteten Empore kündete dann das Christkind, dem die Schauspielerin Irene Brunner ihre Stimme lieh, den Zauber des einmaligen Christkindlesmarktes in Nürnberg. Die alten, immer wahren Worte von Friedrich Bröger wurden in diesem Jahr durch Passagen ergänzt, die sich auf den nunmehr fast abgeschlossenen Wiederaufbau des Hauptmarktes bezogen. So sieht das Christkind ein in der Tradition verwurzeltes Streben der Baumeister, denen Alt-Nürnberg Herzensanliegen ist:

„Und dieser alte Platz, ein neuer ist´s zugleich, wie aus dem alten Stamm aufwächst ein neuer Zweig, Erinnerung ist schön. Was alt und edel war, steht, wo es immer stand, der edlen Türme Schar und ihr Geläut. Manch altes Haus darin. Vergangne Zeit gerann, ihr Leben und ihr Sinn. Doch wenn das Häuserrund sich um Euch jetzt neu reiht, so wird der Platz zum Denkmal und Zeichen dieser Zeit. Was sie an eigner Form erdacht hat und erbaut: Hier steht´s mit alten sacht vereint und kündet laut: Solang der Platz auch steht, er ist nicht starr und alt. Blieb auch sein Wesen gleich, er wechselt die Gestalt.“

Damit hat das Christkind den Verantwortlichen für den Wiederaufbau bestätigt, was viele Fremde bei einem Besuch in Nürnberg empfinden: unter veränderter Gestalt hat die Stadt ihr Wesen erhalten. Dieses Gefühl ließ die Nürnberger den Schneeregen vergessen, der inzwischen niederfiel. Glücklich und auch ein wenig stolz stimmten sie in die Weise von der fröhlichen, seligen Weihnachtszeit ein. Damit wäre eigentlich der Weg in die Budenstadt freigewesen, hätte nicht das weltweite Interesse der Fernsehteams eine Wiederholung des ersten, in Dunkel gehüllten Teils erforderlich gemacht. Noch einmal erklangen die Fanfaren, diesmal für das Bild Nürnbergs in Asien und Amerika.

Was sich dann auf dem Hauptmarkt abspielte, glich vorweggenommen Stunden nach der Bescherung. Die Rauschgoldengel und die Zwetschgenmännchen, die Krippenfiguren und die Puppen blieben zwar stumm, aber sie fühlten sich im Mittelpunkt des turbulenten Geschehens. 23 Stände mit 44 Meter und 106 Holzbuden mit 420 Meter Frontlänge drängen sich auf dem Platz zwischen dem Schönen Brunnen und der Frauenkirche. Das Angebot bleibt auf Weihnachtswünsche beschränkt, die zeigen, wie bescheiden man bleiben kann, wenn man im Vorübergehen Freude bereiten will. Spielzeug und Lebkuchen; Christbaumschmuck und Tafelgeschirr, warme Winterwäsche und typische Andenken gibt es ebenso zu kaufen wie Stärkungen, die den Hunger stillen und die durch Kälte erschlaffenden Lebensgeister wecken.

Der Christkindlesmarkt war schon längst eröffnet, als sich zwei Buben aus dem ersten Schuljahr über ihre Eindrücke von der Eröffnungsfeier unterhielten. Der eine sagte, da droben auf der Kirche stand ein Engel, der andere behauptete, der Engel sei das Christkind gewesen. Jeder hatte sein Argument. Der eine: „Das Christkind kann man nicht sehen“, der zweite meinte: „Ich habe gehört, wie die Frau gesagt hat, hört alle zu, was euch das Christkind sagt!“ So gehen die Auffassungen schon bei den Kleinsten auseinander, aber keiner möchte – wie alle Nürnberger – den Christkindlesmarkt missen.

Verwandte Themen


Keine Kommentare