4. Oktober 1966: Politik am Biertisch

4.10.2016, 07:00 Uhr
4. Oktober 1966: Politik am Biertisch

© Ulrich

Das Versöhnungsfest vom Jahre 1965 im Nürnberger Rathaus erlebte eine Neuauflage auf der Fürther Kirchweih. Die beiden Stadträte setzten sich erneut an einen großen Tisch, um aller Welt deutlich zu machen, daß die Streitaxt vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte ein für allemal begraben ist. Es fehlte nicht viel, und die Oberbürgermeister von hüben und drüben wären sich um den Hals gefallen, hätte dies nicht nach einer bevorstehenden Eingemeindung ausgesehen.

4. Oktober 1966: Politik am Biertisch

© Ulrich

Die Fürther Stadtoberen hatten ihre Nürnberger Kollegen zur – keineswegs "auf die" (was einer Aufforderung nach dem berühmten Götzschen Zitat gleichgekommen wäre) – Kirchweih geladen, weil die Nachbarstadt in diesen Tagen mit ihrem Lichterschmuck beinahe großstädtisch glänzt und ein überörtliches Ereignis zu bieten vermochte. Die Nürnberger Stadtväter pilgerten denn auch wie das biedere Wahlvolk über die Grenze, um sich angesichts des strengen Sparprogramms in der Heimat an den Fürther Töpfen und Quellen zu laben.

Eine Art von Familienfest

Beide Oberbürgermeister strengten sich gewaltig an, um in humorvollen Reden dem fröhlichen Anlaß der Zusammenkunft gerecht zu werden. In einem der vornehmsten Fürther Speiselokale "mit Nürnberger Preisen" feierten sie das zweite Stelldichein beider Abordnungen seit Menschengedenken wie ein Familienfest im trauten Heim. Als "liebe Freunde und liebe Verwandte" begrüßte Oberbürgermeister Kurt Scherzer die ausgezehrte Nürnberger Delegation, um sie "nach Herzenslust essen und trinken zu lassen", wie dies weiland im Januar 1965 seine eigenen Kollegen im Ratskeller zu Nürnberg getan.

Er verhieß zwar Fröhlichkeit fernab der Kommunalpolitik, konnte es sich jedoch nicht verkneifen, ein paar Sorgen in die Gläser Bier zu schütten. Diplomatisch erwähnte Scherzer zunächst, daß es in den zurückliegenden eindreiviertel Jahren gelungen ist, einen Gasvertrag mit Nürnberg zu schließen und das Problem der Wasserversorgung aus dem Donauraum über einen großen fränkischen Zweckverband zu meistern, um dann so offene Fragen wie den Straßenbahnvertrag (die Fürther halfen den Nürnbergern beim Defizit, ohne zu bezahlen) und der Müllverbrennung anzuschneiden.

Schließlich stand der OB nicht an, seinen Gästen auch noch ihre große Geschichte streitig zu machen, in dem er darum verwies, daß die Vorgängerin der St.-Michaels-Kirche – Anlaß des jetzigen fröhlichen Treibens – die "Mutter" von St. Lorenz gewesen ist. Auf daß sich die Nürnberger stets daran erinnern mögen, gab ihnen Oberbürgermeister Scherzer ein Gemälde dieses Gotteshauses mit auf den Weg.

Wenn Freunde auseinandergeh‘n…

Mit nicht weniger spitzen Reden setzte sich Stadtoberhaupt Dr. Urschlechter in die Retourkutsche. Er rechnete der zechfreudigen Gesellschaft sogleich vor, daß sie drei Bürgermeister unterhält, während das Land am Pegnitzufer von nur zwei Herren dieser Spezies regiert wird. Trotzdem bedauerte Dr. Urschlechter, daß sein Gemeinwesen stärker in der Kreide steht als die Schwesterstadt, die mit Schulden bisher sparsam gewesen ist. Obwohl er eine "offizielle Rede mit Gefühl und Herz" zu halten gedachte, fuhr er den Fürthern mit der Bemerkung an den Karren: "Wir haben es uns überlegt, ob wir mit der Straßenbahn und damit gleich mit der ernsten Kommunalpolitik nach Fürth kommen sollen."

Zum guten Schluß der schnellen Reden, die da sein mußten, ließ der Oberbürgermeister kleine Nürnberger Trichter an alle Fürther verteilen, die am Revers zu tragen sind. Aus welchem Grund weiß sicher niemand. Ein Buch der Stadt sollte verdeutlichen, daß "Nürnberg nicht mehr durch Butzenscheiben schaut, seit es die Freundschaft mit Fürth gibt". Die Nachbarstadt aber hat selbst wenig Butzenscheiben.

In einem freilich enttäuschte der Rat seinen Oberbürgermeister nicht, der da prophezeite: "Wenn wir in dieser Nacht auseinandergehen, wissen wir, daß wir bei Freunden gewesen sind!" Die Vorhersage "Nacht“ stimmt.

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