4. September 1965: Werben um der Wähler Gunst

4.9.2015, 07:00 Uhr
4. September 1965: Werben um der Wähler Gunst

© Gerardi

Mit Dampfhammer-Schlagzeilen bringen sich CSU („Unsere Sicherheit“), SPD („Sicher ist sicher“) und FDP („Nötiger denn je“) in Erinnerung. In kleineren Lettern empfehlen sich AUD, NPD und DFU für den Bundestag, in dem sie erst Sessel erobern wollen.

Die Plakate und Stellwände sind freilich nur ein, wenn auch das augenfälligste Mittel beim Buhlen um Stimmen. In den Partei-Zentralen häufen sich Berge von Papier, die in den nächsten zwei Wochen noch die Briefkästen der Nürnberger füllen werden: Flugblätter, Aufklärungsschriften, Wählerbriefe, ja sogar ganze Illustrierte. Die örtlichen Kandidaten reden sich indes den Mund fransig, um sich selbst und ihre Ziele ins rechte Licht zu rücken. Wo immer man in diesen Tagen hinhört oder hinsieht, ist es mühelos zu erkennen: der Wahlkampf treibt seinem Höhepunkt entgegen.

Die Nürnberger haben die Spitzenkandidaten der „Großen Drei“ erleben können: Kanzler Erhard, Kanzler-Kandidat Brandt und Vizekanzler Mende ließen sich von ihren Anhängern schon zujubeln. Schallplatten sollen aber dafür sorgen, daß ihr Besuch noch lange nachklingt. „Wir sind in all den Jahren mit Ludwig Erhard gut gefahren“, tönt es da für die Wahllokomotive der CDU, dort klingt es „Alle drücken dir den Daumen“, für Willy Brandt; nur Parteivorsitzender Mende muß sich darauf verlassen, als „schöner Erich“ persönlich nachhaltig zu wirken.

4. September 1965: Werben um der Wähler Gunst

© Gerardi

Die Plakate mit den Köpfen und Schlagworten sind in diesem Wahlkampf beinahe noch das einzige Mittel, das an das herkömmliche Werben um Wählerstimmen erinnert. Ansonsten gehen die Parteien, wie das Beispiel der Schallplatten zeigt, neue Wege, um den Wohlstandsbürger zu den Urnen zu locken. Von den Bundestags-Parteien hat jede eine eigene Masche, um ihre Netze für den großen Fischzug zu knüpfen. Die Sozialdemokraten halten ein Autonummernschild mit der Aufschrift „N – SPD 1965“ für einen besonderen Clou, die CSU schießt mit einer Lichtkanone ihre Parolen 200 Meter hoch, die FDP verschenkt Rosensträußchen (aus Plastik) an die Damen.

Für die Parteien, die schon einen festen Platz im Bonner Parlament haben, ist die Zeit der kleinen Versammlungen und Kundgebungen endgültig vorbei. Sie halten es mit dem Ausspruch eines Funktionärs: „Versammlungen sind soviel wert, wie am nächsten Tag darüber in der Zeitung steht“ oder glauben an die Wunderkraft der Fernsehmattscheiben. Daher überlassen es die „Großen Drei“ ihren vermeintlichen kleinen Mitbewerbern um die Gunst der Wähler, „auf die Dörfer zu gehen“.

Die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher, die Deutsche Friedensunuion und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands beklagen es, daß sie nicht genug Geld haben, um ebenso wie die traditionellen Bundestagsparteien eine große Schau abziehen zu können. „Wir sind auf die Spenden unserer Mitglieder und einiger Gönner angewiesen, während die anderen Steuergelder aus dem Topf der Parteienfinanzierung verbrauchen“, erklären übereinstimmend die Sprecher der Neulinge im Wettlauf nach Bonn. Dennoch wollen auch sie mitmischen. Die großen Parteien haben jedoch ihnen gegenüber nicht nur einen finanziellen Vorsprung, sondern auch die größere Erfahrung in Wahlkämpfen. „Wir versuchen, unsere Stärke als Mitgliederpartei auszunützen“, sagt SPD-Sekretär Rolph Mader und weist darauf hin, daß Sozialdemokraten etwa 4000 Hausbesuche in Stimmbezirken machen, in den die CSU bislang besser abgeschnitten hat. „98 v. H. der besuchten Leute waren sehr gut ansprechbar, nur zwei Prozent verhielten sich abweisend“, lautet das Ergebnis des Werbefeldzuges von Türklinke zu Türklinke.

Die CSU hält es ebenfalls mit dem Grundsatz, ihre Kandidaten bei möglichst vielen Wählern persönlich ins Gespräch zu bringen. „Wir lassen die Bewerber in den beiden Nürnberger Bezirken nicht nur vor Parteifreunden, sondern auch in vielen Vereinen reden“, meint CSU-Bezirksvorsitzender Karl Schäfer. Auch er will erlebt haben, daß die Kandidaten vielfach zu Gesprächen eingeladen worden sind. Sie teilen das Schicksal ihrer Konkurrenten, an manchen Abenden zwei- oder gar dreimal sprechen zu müssen. Auf kleinere Zirkel verläßt sich die FDP, um ihre Kandidaten an den Mann zu bringen. „Angefangen bei den Studenten über Hausfrauenverbände bis zu den Kaninchenzüchtern sprechen unsere Leute rein informativ“, erläutert Geschäftsführer Rudolf Kaiser. Die Freien Demokraten in Nürnberg müssen aber auch fünf Rednermannschaften für ganz Mittelfranken stellen, die sich aus Stadträten und Parteifreunden rekrutieren. Sie ziehen hinaus auf das flache Land, wo heutzutage noch mehr als in der Großstadt hart und sachlich diskutiert wird.

Bis zum 19. September, wenn der Wähler das letzte Wort haben wird, sind Georg Stiller, Dr. Sieghard Roste (beide CSU), Käte Strobel, Georg Kurlbaum (beide SPD), Dr. Klaus Dehler, Dr. Walter Riedl (beide FDP) und die Kandidaten oder übrigen Parteien unentwegt auf Achse – zu politischen Frühschoppen, Forumsdiskussionen, Kundgebungen und Einzelgesprächen. Die meisten Kilometer bringt dabei Käte Strobel hinter sich, die als Spitzenkandidatin der SPD in Bayern und Mitglied der Regierungsmannschaft im ganzen Bundesgebiet reisen und reden muß.

Für alle Gegner großer Worte haben die Parteien ihre Parolen schwarz auf weiß gedruckt auf Lager. Mit einem vierfarbigen Magazin kommt die CSU den Nürnbergern ins Haus. Die Sozialdemokraten haben eine Illustrierte, in der acht Seiten ihren örtlichen Kandidaten gewidmet sind; sie enthält sogar noch ein Preisausschreiben. Die Freien Demokraten warten mit einer Broschüre auf, in der ihre Politiker Rede und Antwort stehen. Kartenspiele, Fußballtabellen, Taschentücher und ganze Bücher (wie etwa das der FDP zu Franz Josef Strauß) runden den bunten Bilderbogen kleiner Wahlgeschenke ab.

Ein handlicher Bildband streicht die Vorzüge von Kanzler Ludwig Erhard heraus, die Liberalen lassen hinter die Kulissen blicken. Käte Strobel rührt die Reklametrommel mit einem Magazin für die Frau, das eher einer Modezeitschrift denn einer Wahlillustrierten gleicht. Und alle Parteien haben Briefe aufgesetzt, in denen sich die Kandidaten höchstpersönlich an die 27 000 Jungwähler wenden wollen, die zum ersten Male ihrer staatsbürgerlichen Pflicht genügen dürfen.

Mit Filmen und einem Großraum-Werbewagen macht darüber hinaus die CSU auf sich aufmerksam. Die SPD vertraut auf ihr Nummernschild als Anstecknadel, Aushängezeichen für den Wagen und sogar Flugmodell für Kinder, weil sie an den Symbolgehalt dieses Zeichens für Auto, Urlaub, Wohlstand glaubt. Das Vermächtnis von Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten, nutzt die FDP, um an eine große Persönlichkeit aus ihren Reihen zu erinnern. Neben all diesen Dingen aber gibt es überall viel Papier, Papier, Papier. Wer nicht in seinen Briefkasten schauen will, der begegnet den Parteien dann sicher im Anzeigenteil seiner Zeitung.

Tausende von Plakaten, Zehntausende von Briefen (das Stück kostet 20 Pfennig Porto) und Hunderttausende von Flugblättern: wer soll das bezahlen? Die großen Parteien können auf diese Gretchenfrage nur sagen, wieviel sie in Nürnberg ausgeben, denn sie bekommen viel Material von ihren Zentralen in Bonn und München geliefert. Die SPD schätzt ihren Aufwand für den Wahlkampf auf 65 000 DM; allein die Fahrt ihres Kanzlerkandidaten Willy Brandt mit Arbeitsessen, Fahnenschmuck, Podien und Straßenkreuzer hat 10 000 DM gekostet. Die CSU rechnet in ähnlichen Größenordnungen. Dagegen seufzt der FDP-Geschäftsführer: „Ich wollte nur, ich hätte für diesen Wahlkampf das Geld der anderen beiden!“

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