7. August 1966: Liliput-Haus im Hinterhof

7.8.2016, 07:00 Uhr
7. August 1966: Liliput-Haus im Hinterhof

© Kammler

Offsetdrucker Karl Scharf war der Architekt und Baumeister zugleich. Walter Schwab, Regierungsoberinspektor beim staatlichen Rechnungsprüfungsamt, sorgte für den grün-weißen Anstrich, den Namenszug und der stilisierten Sonne auf der Vorderfront.

Der 51jährige „Jünger der schwarzen Kunst“ kam auf die Idee, als er eines Tages sah, daß die Kinder selbst begannen, ein wackliges Hüttchen zurechtzuzimmern. „Weißt was, da bau i a Haus. Dann ham‘s wenigstens an Zeitvertreib“, sagte er zu seiner Frau und machte sich an das Werk, das um so löblicher ist, weil das Ehepaar keine Kinder hat.

7. August 1966: Liliput-Haus im Hinterhof

© Kammler

Bald präsentierte sich das schmucke, blechgedeckte Miniaturgebäude, für dessen Inneneinrichtung die Hausgemeinschaft zusammensteuerte: Bänke aus alten Bügelbrettern mit prima Polsterung, ein Tisch und ein Teppich, Gardinen, Bildern an der Wand und eine Glocke vor der Haustür. Selbst ein Blumenstöckchen aus Plastik fehlt nicht.

Selbstverständlich gab es – die Wohnbaugesellschaft Noris hatte als Eigentümerin des Anwesens dem Bau zugestimmt – ein großes Fest zur Einweihung, bei dem die Eltern geladen waren. „Malersgattin“ Lieselotte Schwab bereitete Bratwurstbrötchen, die an die Gäste verkauft wurden. Mit dem Erlös erwarben die jungen Hausbesitzer so notwendige Haushaltsutensilien wie Teller, Becher und Löffel.

Seitdem ist die ganze muntere Gesellschaft, der Toni und der Ulrich, der Michael, die Sonja, die Annelinde und wie sie sonst noch heißen, ganz aus dem Häuschen. Sie findet, daß die Ferienbetreuung auf dieser privaten Basis mit nichts zu vergleichen ist und freut sich auf jeden Tag, an dem sie ihr eigenes Reich betreten darf.

Die Ferien in der Stadt machen auf dieses Weise den Kindern besonderen Spaß. Sie empfinden ebenso wie die Erwachsenen ein großes Vergnügen, ein „Haus Sonnenschein“ im Hinterhof stehen zu haben, über den sich das Häusermeer in Backstein mit seinen eigentümlichen Zutaten wie wehender Wäsche auf den Balkonen erhebt. Die hübsch gezimmerte Hütte bietet einen weiteren Beweis dafür, daß die Menschen in der Großstadt keine anonyme Masse darstellen,sondern daß hier und dort auch noch Herzen schlagen, denen der Nachbar nicht gleichgültig ist. Gerade deshalb bietet das Häuschen im Hinterhof ein schönes Beispiel des Zusammenlebens – selbst auf engstem Raume.

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