7. September 1966: Der Schulnachwuchs rückte ein

7.9.2016, 07:00 Uhr
7. September 1966: Der Schulnachwuchs rückte ein

© Gerardi

Doch immerhin – den so wichtigen Schritt in den Ernst des Lebens taten die meisten der 5.291 Nürnberger Schulkinder vom Jahrgang 1959/60 mit der Zuckertüte in der Hand – und diese Wegzehrung versüßte den Abschied von Mutters Schürzenzipfel erheblich. Nur ein paar Tränenselige (fast durchwegs männlichen Geschlechts) konnten den Griff zum Taschentuch doch nicht unterdrücken, als den Neulingen die Stunde schlug.

Der Thomas sah ihr gelassen entgegen. Unsere besorgte Frage, ob er denn auch gut geschlafen und gefrühstückt habe, beantwortete er mit einem sachlichen "na klar". Omas Ermahnungen ("Gib die Hand und red‘ deutlich, wenn du gefragt wirst") und Mutters Bemühungen, das Ränzlein möglichst bequem auf des Schulneulings Rücken zu platzieren, nötigten ihm ein geduldiges Lächeln ab. Bereitwillig gab er uns Auskunft über seine Vorkenntnisse: er kann das "s" noch nicht schreiben. Immerhin, er weiß, daß es "wie eine Schlange ausschaut".

Das moderne Schulkind verfügt über einen motorisierten Papa, der es zum Unterricht chauffiert – für den Thomas bleibt die Spazierfahrt in die Lehranstalt freilich auf diesen ersten Tag beschränkt. Ab heute wird er zu Fuß in seine Schule an der Moritzbergstraße gehen müssen, vorbei an einer gefährlichen Kreuzung und über Zebrastreifen, an denen ihm die gelbe Mütze der Erstkläßler gute Dienste leisten soll.

In der Schule wartet Hauptlehrer Gerhard K. auf seine 38köpfige Schar, die er nach eigener Aussage bis Weihnachten soweit gebracht haben wird, daß die Kinder Zeitung lesen können. Freilich wünscht er sich beim "Ganzheitssystem", nachdem hierzulande das Schreiben und das Lesen gelernt werden, die Mithilfe der Eltern. "Die Oma ist bei dieser neuen Methode überfordert", verriet er und ermahnte die ernsthaft Zuhörenden, ihre Kinder geduldig auf die schwere Umstellung vom Spielen zum Lernen vorzubereiten.

Der letzte Rat, der den Vätern und Müttern mit auf den Weg gegeben wurde, war zeitgemäß: "Gehen Sie in der immer kärglicher ausfallenden Freizeit des Kindes mit ihm spazieren und setzen Sie es nicht vor den Fernsehschirm!" Thomas auf seinem Bänklein ließ derweil die Blicke schweifen und hielt Ausschau nach bekannten Gesichtern. Finster schaute Brüderchen Gerhard an seiner Seite auf all die Zuckertüten ringsum, und als er gar ein "Geschwister" mit einer Miniaturtüte entdeckte, konnte man seine Gedanken nahezu mühelos erraten.

Daß aber auch "die Großen" nach der angenehmen Mitgift schielten, zeigte die erste Schulstunde hernach. Auf die Frage, was denn da drin sei, schnellten die Finger nur so in die Höhe. Das Schulkind 1966 bevorzugt neben Schokolade und "Bombom" Kaugummi und Salzstangen – und wie sich der Inhalt wandelte, so hat sich auch die Gestalt der Tüten geändert. Das Glanzpapier von einst ist bunten Abziehbildern gewichen, hier und da sieht man gar Pop- und Op-artige Motive.

Nicht ganz so fortschrittlich sieht es im Schulwesen aus. Immerhin gibt es in diesem Schuljahr noch elf kombinierte Klassen in Nürnberg, das heißt, daß Schüler der ersten und der zweiten Klasse miteinander unterrichtet werden.

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