8. August 1965: Feier vor den „Wolkenkratzern“

8.8.2015, 07:00 Uhr
8. August 1965: Feier vor den „Wolkenkratzern“

© Kammler

Bundespostminister Richard Stücklen freute sich über die 702 modernen Wohnungen, die hier für seine Nürnberger Untergebenen entstehen. Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter rühmte den Gebäudekomplex an der städtebaulich interessanten Einfallstraße aus Richtung München als wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau Nürnbergs.

Die Wohnanlage, die Architekt Gehard G. Dittrich entwarf, bietet einige Superlative. Durch die erstmals in dieser Form angewandte Gleitschalungs-Bauweise steht der Rohbau eines 22geschossigen Scheibenhauses – Neuselsbrunn erhält drei davon – binnen eines halben Jahres. Die gesamte Bauzeit beträgt nur noch 15 Monate. Mit 62 Meter Höhe suchen diese Giganten ihresgleichen in Süddeutschland.

Ladenzentrum entsteht

Die Zahl der wohnungssuchenden Postangehörigen war bisher in Nürnberg sehr groß. Am 11. Mai 1963 erreichte sie abermals den Höchststand von 900, der bereits einmal im Jahre 1950 registriert worden ist. Die Zentralisierung des Post- und Fernmeldedienstes, höherer Personalbedarf und andere Gründe ließen nach einer Lösung Ausschau halten. Abhilfe konnte nur durch ein großes Bauprogramm geschaffen werden: die Geburtsstunde von Neuselsbrunn, das rund 42,2 Millionen Mark kostet, hatte geschlagen. Architekt Gerhard G. Dittrich gruppierte alle Wohngebäude um eine Grünanlage, erschloß den Komplex durch eine Sammelstraße und dachte an die Fußgänger, die ohne eine Straße überqueren zu müssen, von der künftigen U-Bahn-Haltestelle oder den Parkplätzen jedes Haus erreichen können. Neuselsbrunn erhält außerdem ein kleines Ladenzentrum, in dem die Bewohner den täglichen Bedarf decken können.

8. August 1965: Feier vor den „Wolkenkratzern“

© Kammler

Vier Bauabschnitte sind nötig, bis voraussichtlich 1967 die gesamte Wohnanlage mit 13 viergeschossigen Blöcken, zwei 15geschossigen Türmen und drei 22geschossigen Scheibenhäusern sowie dem Fernheizungswerk mit dem 75 Meter hohen, an einem Scheibenhaus angehängten Kamin, fertiggestellt ist. 702 neue Wohnungen der verschiedensten Größen stehen dann den Postbediensteten zur Verfügung. Für 458 Wohnungen konnte gestern das Richtfest gefeiert werden. 168 davon sind bereits bezogen.

Richtspruch aus dem 22. Stock

Den Umfang des Bauprogramms verdeutlichen auch einige Zahlen: 225.000 Kubikmeter umbauter Raum, 50.000 Quadratmeter ertragbringende Nutzfläche, 41 Garagen und 334 Parkplätze sowie fünf Zentralwaschanlagen. Die Erschließung erfordert 720 Meter Straßen, 3.000 Meter Wege und 2.000 Meter Kanäle. Interessant ist auch der Baustoff-Aufwand für eine 22geschossige Scheibe. 100 Waggons Zement, 20 Waggons Stahl und 1.000 Waggons Kies und Sand sind dafür nötig.

Das große Fest begann nach der Ankunft des Bundespostministers mit Musik. Die Nürnberger Postkapelle spielte, zwei Postillione stießen kräftig ins Horn. Nachdem die Gäste – unter ihnen der Präsident der Oberpostdirektion Nürnberg, Dr. Kurt Wiesemeyer, Bürgermeister Franz Haas, Bundestagsabgeordnete und zahlreiche Stadträte – sich mit Sekt aus goldumhüllten Flaschen gestärkt hatten, unternahmen sei einen Rundgang und besichtigten ein Modell, das die Gleitschalungs-Bauweise demonstriert.

Vor dem bereits in die Höhe geschossenen Scheibenhaus, vor dem die Fahnen im leichten Wind flatterten, trat der kaufmännische Geschäftsführer der Gemeinnützigen Deutschen Wohnungsbaugesellschaft, Dr. Hans-Joachim Baumhauser (Düsseldorf), an das Rednerpult. Für sein Unternehmen, das die Parkwohnanlage im Auftrag der Deutschen Bundespost errichtet, dankte er allen am Bau Beteiligten für ihre ausgezeichneten Dienste.

Nachdem der Zimmerpolier vom 22. Stockwerk herab sein Verslein artig aufgesagt hatte und die riesige Richtkrone in die Höhe gezogen worden war, bezeichnete Minister Stücklen den Wohnungsbau als eine soziale Aufgabe der Post. Leistungsfähiges und zufriedenes Personal setze moderne und gesunde Wohnungen voraus, meinte der hohe Gast. Kurz nach 14 Uhr, als die Postillione in den Humboldtsälen ihre Stücklein zum besten gaben, sang auch der Bundespostminister fröhlich mit: „...ich wär´ ja so gern noch geblieben, aber der Wagen der rollt!“

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