8. Juli 1967: Ein Nein zum Notstand

8.7.2017, 07:00 Uhr
8. Juli 1967: Ein Nein zum Notstand

© Gerardi

Nach Feierabend strömten Hunderte, teilweise mit Bussen aus den Betrieben herbeigefahren, in die Messehalle. Landtagsabgeordneter Erwin Essl, Bezirksleiter der IG Metall in Bayern, hielt die Ansprache, in der er die Problematik dieser augenblicklich in zweiter Lesung vom Bundestag beratenen Gesetze aufdeckte.

In langem Zug formierten sich nach der Kundgebung die Teilnehmer zum Marsch durch die Innenstadt bis zum Hauptmarkt. Zuvor hatten sie einstimmig (bei zwei Enthaltungen) eine Entschließung gebilligt, in der „alle Politiker, Abgeordneten und verantwortungsbewußte Staatsbürger aufgerufen sind, den Notstandsplänen ein entschiedenes Nein entgegenzusetzen“.

8. Juli 1967: Ein Nein zum Notstand

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Transparente mit balkendicken Lettern: „Kurras lebt“ – „Ohnesorg reicht“ – „Demokratie in Schutzhaft“, die deutsch gesungene Marseillaise aus allen Lautsprechern, eine dicht an dicht gedrängte Menge von Männern und Frauen, Jungen und Alten – das war die Atmosphäre in der Messehalle. Daß aus der diszipliniert lauschenden Zuhörerschaft immer wieder lebhafte, heftige, stürmische Zwischenrufe laut wurden, daß Zischen, Beifall, Gelächter und erregtes Stimmengewirr den Ablauf unterbrachen, zeigte die gespannte Aufmerksamkeit, die leidenschaftliche Anteilnahme der hundertköpfigen Menge.

„Die SPD hat den Schlüssel in der Hand – sie kann die Notstandsgesetze verhindern oder sie verwirklichen“; Essl lies keinen Zweifel an der Gefährlichkeit dieser Gesetze, falls sie den Bundestag – in welcher Form auch immer – passieren sollten. Eindringlich, veranschaulicht durch Beispiele, Zitate, Hinweise, schilderte er die Bedenken, die Gefahren, den Notstand, der aus dieser Gesetzgebung erwachsen werde.

„Bei der beabsichtigten Notstandsgesetzgebung handelt es sich um ein Gesetzwerk, das dem Staat – insbesondere der Bundesregierung – Sondervollmachten einräumt und dabei die Grundrechte des Bürgers erheblich einschränkt“, erklärte Essl und erhärtet dies durch Beispiele: Zum Zwecke der Verteidigung kann, noch ehe der Zustand einer äußeren Gefahr (Krieg) festgestellt worden ist, jedermann über 18 Jahren dienstverpflichtet werden. Politische Streiks sind verboten – doch da Streiks aus tarifpolitischen Gründen oft auch als politische Streiks ausgelegt werden können, sei des Streikrecht überhaupt aufgehoben.

Wie ungeniert der Gesetzgeber dem Bürger an den Geldbeutel zu greifen gedenkt, demonstrierte der Landtagsabgeordnete mit ein paar Zahlen. Demnach werde die Stadt Nürnberg in zehn Jahren 689 Millionen Mark für die Notstandsgesetze (vor allem die Luftschutzgesetze) ausgeben müssen – und erreichte damit doch nur für 30 v. H. der Bevölkerung ausreichenden Schutz.

In diesem Zusammenhang erinnerte der Sprecher daran, daß 22 Jahre nach Kriegsende die Bundesrepublik sich ohne Friedensvertrag noch immer im Zustand des Waffenstillstands befinde. Er schlug deshalb unter dem tosenden Beifall der Teilnehmer vor, die Politiker sollten sich mit aller Macht dafür einsetzen, einen solchen Vertrag abzuschließen – „das ist besser, als den Militärhaushalt wieder einmal zu erhöhen“.

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