8. September 1965: Zum ersten Mal auf dem Schulweg

8.9.2015, 07:00 Uhr
8. September 1965: Zum ersten Mal auf dem Schulweg

© Kammler

In vielen großen Tüten, die 2.798 Buben und 2.642 Mädchen zum Zeichen ihrer „Schulreife“ mit sich trugen, steckten nicht nur Süßigkeiten, sondern auch viele gelbe Mützen und Kopftücher, die zur Vorsorge gegen Verkehrsunfälle von den Kindern getragen werden sollen.

„Darüber freue ich mich am meisten“, sagt Stadtschuldirektor Friedrich Ruthel, „denn gerade die Schulneulinge waren bisher am ehesten vom Unglück auf der Straße betroffen!“ Er empfiehlt den Eltern sehr, ihre Kinder wenigstens vier Wochen lang auf dem sichersten Weg zur Schule zu begleiten.

Es wurde viel gelacht

Für viele Lehrer und Lehrerinnen – an den Volksschulen werden gegenwärtig 910 Pädagogen gezählt; mit den Fachlehrern sind es 1.030 – war aber gestern ein nicht minder „spannender Tag“ als für die kleinen Leute. Sie sahen sich einem wieder neuen Jahrgang an Lernwilligen (oder vielleicht auch weniger vom Abc Begeisterten) gegenüber, hatten sie im Beisein ihrer Mütter und Väter durch freundliche geübte Ansprachen zu gewinnen – und gaben ihnen bereits die erste Aufgabe. Zuhause sollen sie ihre Schultüte malen, die ihnen die Eltern geschenkt haben oder auch die schönen Dinge, die drinnen steckten. „Am liebsten wär´s uns, wenn das nicht die Mutti täte“, meinte lachend Direktor Ruthel.

Gelacht wurde beim ereignisreichen Schulbeginn viel: ganz schlaue „Jungeuropäer“ trugen freiwillig Verse vor, andere demonstrierten, was sie schon rechnen können, übrige zeigten dem „Fräulein“, wie die Beatles hüpfen, wenn sie singen, oder wie ein Bundeswehrsoldat die Hacken zusammenschlägt.

Noch 100 Klassenzimmer fehlen

Freilich, so forsch waren nur die Unbekümmerten; die kleinen Denker verhielten sich zurückhaltend und abwartend. Ihre Augen waren groß,verwundert und oft auf die Mutter im Hintergrund gerichtet. Nur die besonders sensiblen Mädchen, denen das neue „Zwangs-Zeremoniell“ unbewußt nicht paßte, weinten ein paar bittere Tränen. Aber sei´s wie es mag: für fast 5.500 Kinder hat der „Ernst des Lebens“ begonnen. 82 v. H. – das bedeutet eine Steigerung um 3 v. H. gegenüber dem Vorjahr – besuchen die Gemeinschaftsschule, der Rest die beiden Bekenntnisschulen.

Für alle Schüler stehen gegenwärtig 908 Klassenzimmer zur Verfügung. Noch einhundert mehr – und die Zeit des Schichtunterrichts wäre vorüber. Das großangelegte Schulbauprogramm der Stadt jedoch verspricht, daß von diesen unangenehmen Nachkriegserscheinung nicht mehr gesprochen zu werden braucht. 80 neue Lehramtsanwärter konnten für Nürnberg gewonnen werden; 20 Lehrkräfte wurden versetzt. Aber unabhängig von Zahlen: der Schulbetrieb geht weiter, und für die Kleinsten fängt er erst richtig an.

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