9. April 1966: Osterspaziergang an den Brücken

9.4.2016, 07:00 Uhr
9. April 1966: Osterspaziergang an den Brücken

© Gerardi

Die „geputzten Menschen“ sitzen heutzutage meist hinterm Steuer und das „bunte Gewimmel“ herrscht auf den Autobahnen. Dabei gibt es wenige Schritte vor der eigenen Tür noch immer genug Neuland zu entdecken, auch in einer alten Stadt wie Nürnberg.

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
durch des Frühlings holden, belebenden Blick.

In diesem Winter war´s nicht schlimm gewesen mit dem Eis in der Pegnitz. Nur an einigen wenigen Tagen bildeten sich um die Pfeiler der Brücken und an den Gestaden dünne Krusten. Sie sind längst dahingeschmolzen, denn zeitig schon im Jahr zeigte die Sonne all´ ihre Kraft. Aber auch der Winter gab nicht gleich auf, so daß es bis zum Anfang der Karwoche dauerte, ehe die ersten Liebespaare über den Uferweg flanierten, der förmlich am Fakultätsgebäude in der Findelgasse zu kleben scheint.

9. April 1966: Osterspaziergang an den Brücken

© Gerardi

Da kamen auch die Studenten aus ihren Stuben hervor ans Tageslicht. Sie plauschten in ihrem Vorhof oder ließen sich auf den Bänken bestrahlen. Ein Mädchen nutzte die Gunst der Stunde, um im Angesicht des Heilig-Geist-Spitals die Fingernägel im Schnelltrockenverfahren zu lackieren. Unter den ersten Arkaden kurz vor der Museumsbrücke verhält oft des Spaziergängers Schritt, denn die bunte Auslage einer Buchhandlung fesselt sein Interesse.

Überall regt sich Bildung und Streben,
alles will sie (die Sonne) mit Farben beleben,
doch an Blumen fehlt´s im Revier.

Die Laubengänge hier wie dort sind ein wenig kahl. Dafür entschädigt der Ausblick auf den Fluß und auf die wechselnde Szenerie des Stadtbildes. So scheint der Turm des Spitals auf vier Dächern gleichzeitig zu sitzen, die Fassaden der verschiedenen neuen Gebäude in dieser Gegend bilden reizvolle Gegensätze zu den alten Brücken und die Pegnitz selbst aalt sich in ihrem Bett, das noch nie so schön ausgebaut war wie jetzt.

Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Junge Leute in schicken Kleidern nehmen die Brüstung der Museumsbrücke her, um Kaffeetassen darauf abzustellen. Gleich um die Ecke – wieder unter einer Arkade – sitzen jene Männlein und Weiblein, die sich gerne sehen lassen und selbst etwas sehen wollen. An dieser Stelle erkennt man Nürnberg kaum wieder. Denn hier regt sich auf einmal großstädtisches Leben wie im Münchner Vorort Schwabing oder auf der Düsseldorfer Kö.

In allernächster Nähe finden sich einladende Cafés, anspruchsvolle Mode-Boutiquen und verlockende Auslagen mit allerlei großen und kleinen Dingen der Wohnkultur nach dem letzten Schrei. Als Stilleben stehen ein paar Korbmöbel an der Balustrade. Ein Sprung über die Fleischbrücke und wieder kann der Fußgänger in einen Weg einbiegen, der ihm allein gehört und neue Attraktionen wie einen Ausschnitt von China vermittelt.

Aus dem hohlen, finstern Tor
dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Weder hohl noch finster sind die Durchgänge zum Innenhof, der von den neuen Baulichkeiten auf der Südseite des Hauptmarktes umschlossen wird. Jedoch ihm fehlt auch das bunte Gewimmel. Obwohl dieses große Rechteck mit seinem lieblichen Pflanzenschmuck eine Oase der Stille mitten im Großstadt-Getümmel darstellt, es wird nur selten aufgesucht. Die verantwortlichen Männer in der Stadtverwaltung zerbrechen sich den Kopf darüber, wie sie dieses Schmuckstück besser „verkaufen“ können. „Dieser Hof muß noch möbliert werden“, sagt Baureferent Heinz Schmeißner und denkt dabei an Vitrinen, die sogar des nachts beleuchtet sein sollen.

Denn sie sind selber auferstanden:
aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks-und Gewerbebanden,
aus dem Druck von Giebeln und Dächern.
Aus der Straßen quetschender Enge,
aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
sind sie alle ans Licht gebracht.

So sehr dieses Zitat aus dem „Faust“ noch für die Nürnberger Altstadt von gestern zugetroffen haben mag, heute stimmt es nicht mehr, obwohl auch beim Wiederaufbau versucht worden ist, ein geschlossenes Bild zu erhalten. Aber die niedrigen, oft nur handtuchbreiten Häuser mit ihren lichtlosen Räumen sind ebenso verschwunden, wie die engen, winkligen Straßen. Den besten Beweis dafür liefert eben jener Uferweg, der nicht nur auf das Viertel zwischen Heu- und Fleischbrücke beschränkt ist, wenngleich er dort unter den größten Schwierigkeiten erstand.

War es früher nur möglich, durch dunkle, düstere Gassen an ein Stück Pegnitzufer zu gelangen, so lädt jetzt ein breiter, fast lückenloser Weg zu einem Bummel von der einen bis zum anderen Ende der Stadtmauer ein. In zähen und mühsamen Verhandlungen sind den Grundstücksbesitzern die nötigen Quadratmeter dafür abgerungen worden, selbst in einst so dicht besiedelten Gebieten um die Neue Gasse herum. Wenn die Promenade nicht schnurgerade an einer Flußseite verläuft, so hat dies seine guten Gründe: da steht beispielsweise das historische Heilig-Geist-Spital im Wege, von dem nichts abgezwackt werden konnte.

Trotzdem dürfen die Nürnberger ihrer Pegnitz dankbar sein, daß sie ihnen so einen hübschen Weg beschert hat. Als nach dem Kriege überlegt wurde, wie künftig den Gefahren eines Hochwassers begegnet werden könnte, da kamen nämlich die Männer im Bauhof erst auf diesen „Trichter“. Hatten sie ursprünglich das Flußbett so sehr verbreitern wollen, daß es jederzeit allen Wassermassen gewachsen gewesen wäre (ein trauriges Bild allerdings bei normalen Verhältnissen), so entschieden sie sich später dafür, an der Museumsbrücke einen Hochwasserstollen zu bauen und im übrigen „den bescheidenen Stadtfluß so zugänglich zu machen, wie dies heute möglich ist“. Die Pegnitz selbst hat sich für diesen Plan dankbar erwiesen, denn ihr letztes Hochwasser geht auf die Zeit des Stollenbaus zurück. „Seither traut sie sich nicht mehr“, sagt Baureferent Heinz Schmeißner.

Sieh´nur, sieh´! wie behend sich die Menge
durch die Gärten und Felder zerschlägt,
wie der Fluß in Breit´und Länge
so manchen lustigen Nachen bewegt.

Bald aber schon darf sich die Pegnitz ausweiten und über eine große Fläche ergießen. Zum Uferweg von morgen gehört nämlich der Wöhrder See, für den bereits die Staumauern in die neue Brücke beim Talübergang eingebaut werden. Und sein Bild sollen selbstverständlich Kähne und Segelboote prägen. Mit dem See und einigen neuen Promenadenstücken am Wespennest und an der Vorderen Nägeleinsgasse bekommt Nürnberg einen grünen Pfad von der Stadtgrenze im Osten bis zum Westen. Der Spaziergänger kann dann von Laufamholz bis nach Fürth an der Pegnitz entlang gehen, ungestört vom Verkehr und vom Großstadttrubel.

Das Herzstück dieses wahr gewordenen Traums aber bleibt die Partie unter den Arkaden mitten in der Altstadt. Möglicherweise hält der Regen einige Nürnberger davon ab, in die Ferne zu schweifen und statt dessen einmal das naheliegende Gute zu betrachten. Die Schöpfer des Uferweges würden sich sicher freuen, könnten sie mit Johann Wolfgang von Goethe an diesen Festtagen ausrufen:

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
hier ist des Volkes wahrer Himmel,
zufrieden jauchzet groß und klein:
„Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein!“

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