9. November 1965: Kommt doch die Untergrundbahn?

9.11.2015, 07:00 Uhr
9. November 1965: Kommt doch die Untergrundbahn?

© Gerardi

Alles deutet darauf hin, daß die Würfel für eine Untergrundbahn fallen werden. Noch vor gut zwei Jahren war der Stadtrat einhellig dem Rat von Professor Walther Lambert, dem damaligen Rektor der Stuttgarter Hochschule, gefolgt, der sich eindeutig für eine Unterpflaster-Straßenbahn ausgesprochen hatte.

Die Pläne sahen einen Ring vom Plärrer durch die Altstadt in den Süden (Landgrabenstraße vor, auf dem die heutigen Straßenbahn-Züge unterirdisch fahren sollten. Einige Stadträte hatten freilich im April 1963 schon angeregt, die Verwaltung möge gewissenhaft überprüfen, ob der vorgesehene Ring gleich für einen künftigen Untergrundbahn-Betrieb angelegt werden kann.

Nun sieht alles so aus, als ob das Lambert-Gutachten schon zu den Akten gelegt werden wird. „Wir wollen gleich Nägel mit Köpfen machen“, erklärte vor ein paar Monaten bereits SPD-Fraktionschef Willy Prölß, als er auf das Thema „U-Bahn oder U-Strab?“ zu sprechen kam. Der Oberbürgermeister scheint sich ebenfalls für die Untergrundbahn erwärmt zu haben. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Untergrundbahn und einer Unterpflaster-Straßenbahn?

Die Straßenbahn nimmt (ob über oder unter der Erde) den Strom von der Oberleitung. Bei der Untergrundbahn wird jede Achse angetrieben, so daß die Stromschiene unten liegen muß. Weil bei ihr die Oberleitung entfällt, können die Tunnels 30 bis 40 Zentimeter niedriger – im Querschnitt um 7 v. H. kleiner – gebaut werden. Die Reisegeschwindigkeit der U-Strab liegt bei 14, die der U-Bahn bei 25 Stundenkilometern. Durch den Antrieb auf jeder Achse kann die Untergrundbahn vor allem schneller anfahren und rascher bremsen.

Die U-Bahn fährt mit Vier-Wagen-Zügen, die vor- und rückwärts laufen, also keine Wendeschleifen brauchen wie die Straßenbahn, die mit Zwei-Wagen-Zügen verkehrt. Mit der U-Bahn können daher in einer Stunde 40.000 Fahrgäste, mit der Straßenbahn aber nur höchstens 24.000 befördert werden.

Die U-Bahn-Wagen haben grundsätzlich Türen auf beiden Seiten, während die Fahrgäste der Straßenbahn nur rechts einsteigen können. Während bei der U-Strab zwei Außen-Bahnsteige nötig wären, kommt die U-Bahn mit einem Mittel-Bahnsteig aus. Dadurch ist es möglich, in jedem Bahnhof zwei Rolltreppen (Kostenpunkt für eine: 70.000 DM) einzusparen. Vor allem aber fällt beim Betreten der U-Bahn-Wagen das Treppensteigen weg, das für ältere Menschen oft eine beschwerliche und zeitraubende Angelegenheit ist.

Die Untergrundbahn fährt im Tunnel auf Signalsicherung, wodurch eine kurze Zugfolge möglich ist. In Spitzenzeiten kann in Abständen von zwei Minuten Zug hinter Zug auf einer Strecke verkehren. Die Straßenbahn fährt auf Sicht; das zwingt zu größeren Abständen. Grundsätzlich müssen weder U-Bahn noch U-Strab ständig in Tunnels verschwinden. Sie können im Einschnitt oder – wie dies in der Fürther Straße vor der Stadtgrenze vorgesehen ist – auf „Stelzen“ dahinreisen.

Alle diese Erkenntnisse sind freilich nicht neu. Sie waren schon bekannt, als Professor Lambert sein Gutachten vorlegte. Wenn sich die Bauverwaltung dennoch jetzt für die U-Bahn stark machte, so aus zwei gewichtigen Gründen. Als Lambert seine Arbeit für Nürnberg machte, da waren noch Radien bis zu 20 Metern für die Straßenbahn zugelassen – ein gewichtiges Argument für die U-Strab in der engen Altstadt. Vor wenigen Wochen aber wurde eine neue Bau- und Betriebsordnung der Straßenbahn erlassen, die Radien von 180 Metern wie bei der U-Bahn vorsieht. „Die Vorteile für die Trassierung einer U-Strab sind damit entfallen“, meint Oberbaudirektor Karl Schaller, der Leiter des Tiefbauamtes.

Bei allen Überlegungen ergab sich jedoch noch der wichtigste Pluspunkt für die U-Bahn: „Sie gleich zu bauen, ist nicht teurer als eine U-Strab!“ Wenn sich die Nürnberger die Frage ihres Massenverkehrsmittels für die Zukunft noch einmal genau überlegen, so tun sie das vor allem wegen des Verkehrs, der wächst und wächst und wächst. Noch vor sieben Jahren hatte schließlich ein anerkannter Gutachter erklärt, die Stadt brauche sich über eine unterirdische Straßenbahn keine Gedanken zu machen. Diese Ansicht ist vom Verkehr buchstäblich überrollt worden.

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