Abtreibungsmittel im Dessert: Prozess wird neu aufgerollt

6.5.2016, 17:15 Uhr
Ein Nürnberger (23) mischte seiner schwangeren Freundin heimlich ein Abtreibungsmittel ins Dessert.

© nn Ein Nürnberger (23) mischte seiner schwangeren Freundin heimlich ein Abtreibungsmittel ins Dessert.

Flankiert von seinem Verteidiger Maximilian Bär betritt Harry H. (Namen der Betroffenen geändert) den Sitzungssaal im Amtsgericht – er trägt ein Kapuze, verschanzt sich hinter einem aufgeklappten Leitzordner. Der 23-Jährige will dem Blitzlichtgewitter der Fotografen entgehen. Doch der wahre Paukenschlag folgt am Ende dieses zweiten Verhandlungstages: Gegen den 23-Jährigen wird – wegen Fluchtgefahr – Haftbefehl erlassen. Er kommt in Untersuchungshaft, das Verfahren wird ausgesetzt und zu einem neuen Termin wieder neu aufgerollt werden.

Wie konnte es soweit kommen? Der Angeklagte, bislang auf freiem Fuß, war zu zwei Prozessterminen freiwillig erschienen, auch ein Geständnis, nicht weniger als die Königin aller Beweismittel, liegt vor: Bereits zu Prozessbeginn Anfang April hatte er eingeräumt, dass die Anklageschrift von Staatsanwalt Matthias Held zutrifft.

Rückblick: Harry H. hatte am Nachmittag des 21. März 2015 seine damalige Freundin besucht und ihr eine Mokkacreme serviert, in die er das Abtreibungsmittel Mifegyne versenkt hatte. Dieses Medikament hatte er kurz vorher in Tschechien besorgt.

Angeklagter sah sich zur Vaterschaft gezwungen

Die junge Frau wusste seit Januar, dass sie in anderen Umständen war. Erst erlitt sie einen Schock, dann beschloss sie, das Kind zu behalten. Harry H. sah sich dagegen von ihr zur Vaterschaft gezwungen. Er habe sich "von der Schwangerschaft überfordert gefühlt", ließ er über seinen Anwalt erklären, die Tat sei "der größte Fehler seines Lebens" gewesen.

11 000 Euro Schmerzensgeld bot Harry H. seiner Ex-Freundin im Vorfeld an, sie lehnte ab. Nun lässt sie sich von einem Kamerateam eines privaten Fernsehsenders in das Justizgebäude begleiten und tritt mit Rechtsanwalt Wolfgang Wittmann in dem Verfahren als Nebenklägerin auf.

Im Amtsgericht, das als Schöffengericht tagt, begegnen die beiden einander wieder: Harry H. wird Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der Schwangeren vorgeworfen – doch folgt man der Linie seines Verteidigers, könnte die Tat auch nur ein Versuch gewesen sein, und der Abgang eine Fehlgeburt.

Krämpfe nach der Mokka-Creme

An jenem 21. März ließ sich die junge Frau, kurz nach dem Genuss der Mokkacreme, geplagt von heftigen Krämpfen und Blutungen, vom Rettungsdienst  zu Hause abholen. Als ihr im Krankenhaus der Verdacht kam, dass ihr Freund sie quasi vergiftet habe, ließ sie sich Blut nehmen. In der Blutprobe wurde das Medikament Mifegyne eindeutig nachgewiesen.

Das Verfahren sorgt seit seinem Beginn in der Öffentlichkeit für viel Wirbel: Harry H. hat seine Stelle verloren, der Medienandrang ist mittlerweile groß – und aus Wien meldete sich ein Gynäkologe, der auf die medizinische Behandlung von Frauen mit ungewollter Schwangerschaft spezialisiert ist.
Seine These: Der beschriebene Sachverhalt und die einmalige Einnahme von Mifegyne könne aus seiner Sicht nicht zu dem Verlust des ungeborenen Kindes geführt haben.

Aus Sicht der Verteidigung ist daher auch nur ein versuchter Schwangerschaftsabbruch denkbar. Doch auch die Staatsanwaltschaft leitete weitere Ermittlungen ein, gab ein ergänzendes Gutachten bei der Rechtsmedizin in Auftrag und erstellte eine Nachtragsanklage mit weiteren Vorwürfen: Demnach soll Harry H. seiner Ex-Freundin bei zwei weiteren Gelegenheiten mit Abtreibungsmitteln versetztes Essen – einmal einen Döner, einmal eine Portion Sushi – kredenzt haben.