Als knallbunte Kleidung vollkommen in Ordnung war

21.11.2017, 15:13 Uhr
Quietschbunt durfte die Kleidung in den späten 1960er Jahren sein. Auch Teppiche, Tapeten und Vorhänge zeigten Farbe.

© Fotos: Roland Fengler Quietschbunt durfte die Kleidung in den späten 1960er Jahren sein. Auch Teppiche, Tapeten und Vorhänge zeigten Farbe.

Das Jahr 1968 löst einige Assoziationen aus: Schülerproteste, Studentenrevolte, Friedensdemonstrationen, antiautoritäre Erziehung, Anti-Konsum-Bewegung, Kritik am Schweigen über die NS-Zeit, Gesellschaftskritik und Wertewandel — um nur einige wesentliche zu nennen. Damals ging es um das Umkrempeln einer verstaubten, festgefahrenen Gesellschaft.

In der Sonderschau im Erdgeschoss des Spielzeugmuseums kommen politische wie ganz alltägliche Aspekte des Wandels zur Sprache: 40 Frauen und Männer wurden interviewt, wie sie den Umbruch vor 50 Jahren erlebt haben. Neben überzeugten Befürwortern der gesellschaftlichen Öffnung kommen auch Zeitzeugen zu Wort, die das radikale Infragestellen und die grundsätzliche Opposition gegen alles nicht verstanden haben. Kurze, treffende Zitate an den Wänden des Raums geben dem Besucher einen guten Eindruck (siehe auch Kasten).

Spiegelt sich der Befreiungsschlag gegen autoritäre Strukturen auch in der Welt der Puppenhäuser wider oder wurde dort die heile Welt konserviert? Es gab zwar keine Puppenhäuser, die Kinderzimmer mit Che-Guevara-Plakaten en miniature schmückten. Aber poppige Farben fanden sich sehr wohl auf Vorhängen, Teppichen, stark gemusterten Tapeten sowie auf Bett- und Stuhlbezügen.

Die passende, vierköpfige Familie aus "Biegepuppen" war im Stil der Zeit teilweise knallbunt gekleidet. Das Grau der Nachkriegszeit wich einer quietschbunten Optik. Kunststoffmöbel waren in der modernen Wohnwelt wie auch in der Welt der Puppen en vogue.

Wie eng Puppenwelt und normale Welt verbunden sind, macht die Ausstellung sehr anschaulich: Ein Regal mit Gebrauchsgegenständen wie Telefon, Küchengerät oder Warmhaltekanne — natürlich in der Signalfarbe Orange — lässt unschwer erraten, woher die Vorbilder für die miniaturisierten Gegenstände stammen.

Neue architektonische Formen wie der Bungalow mit Flachdach wurden übernommen: Bauten des berühmten Architekten Sep Ruf, der auch in Nürnberg (mit dem Anbau des Germanischen Nationalmuseums, der Kunstakademie oder der Staatsbank am Lorenzer Platz) deutliche Ausrufezeichen gesetzt hat, signalisierten Weltoffenheit und Modernität mit schlichten, reduzierten Formen. In manchen Puppenhäusern findet man dann genau dies wieder. Auch langgezogene Fenster, die für viel Helligkeit im Inneren sorgten. Kinder konnten die Zimmer mit Raumteilern und beweglichen Wänden gestalten.

Eine Vitrine mit echten Gebrauchsgegenständen wie Telefon oder Warmhaltekanne — in der damals beliebten Signalfarbe Orange — macht deutlich, dass die Puppenhäuser auch damals ein Abbild des Zeitgeists waren.

Eine Vitrine mit echten Gebrauchsgegenständen wie Telefon oder Warmhaltekanne — in der damals beliebten Signalfarbe Orange — macht deutlich, dass die Puppenhäuser auch damals ein Abbild des Zeitgeists waren.

Andererseits registrierten die Ausstellungsmacher auch eine Gegenbewegung ins Romantische — eine Sehnsucht nach dem Traumhaus mit Giebeldach. "Die architektonischen Formen werden konservativer", sagt Urs Latus vom Spielzeugmuseum. Und die Elektrifizierung der Puppenhäuser wurde Standard: Den künstlichen Kamin konnte man mit einem kleinen Schalter anknipsen.

Die Objekte der 1960er und 1970er Jahre sind unberührt: Keine Kinderhand hat sie abgenutzt, sie kamen damals sofort ins Museum. Karin Falkenberg, Direktorin des Spielzeugmuseums, sieht in den Einrichtungsstilen den "inneren Ich-Zustand der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Es ist die Realität, in der Kinder und Jugendliche damals gelebt haben."

Eine gelungene Schau — auch deshalb, weil Zeitzeugen pointiert zu Wort kommen.

"Puppenhäuser 1968" läuft im Spielzeugmuseum, Karlstraße 13–15, mit Sonderveranstaltungen bis 6. Mai 2018.

Keine Kommentare