Arno Hamburger: Ein großer und hartnäckiger Kämpfer

1.10.2013, 07:00 Uhr
Arno Hamburger widmete bis zuletzt sein arbeitsreiches Leben dem Kampf gegen Rassismus und gegen das Vergessen.

© Michael Matejka Arno Hamburger widmete bis zuletzt sein arbeitsreiches Leben dem Kampf gegen Rassismus und gegen das Vergessen.

Zum Kämpfer war Arno Hamburger schon in seinem jüdischen Elternhaus erzogen worden. „Bou, hau hi!“, so erzählte er gern, lautete der wichtigste Ratschlag seines Vaters an den einzigen Sohn. Komm nicht heim und heul herum über die Ungerechtigkeit der Welt, sollte das heißen, sondern wehr dich dagegen. In Nürnberg-St.Leonhard wuchs der am 15.Februar 1923 geborene Bub auf. Vater Adolf hatte einen Schlachtbetrieb. Der Ton und die Sitten in diesem Umfeld waren rau.

Aber gegen Unrecht und Hass, die im Deutschland dieser Zeit aufzogen, war am Ende der tapferste Kämpfer machtlos. 1933, die Hitler-Partei war gerade an die Macht gekommen, flog der Zehnjährige vom Gymnasium. Er hatte den Rat des Vaters befolgt und einen Mitschüler verprügelt, der ihn als „Judensau“ beschimpfte.

Den Nazi-Terror erlebt

Arno Hamburger musste als Halbwüchsiger erleben, wie seine Heimatstadt zur Hochburg des braunen Gesindels wurde. Wie Juden aus dem bürgerlichen Leben plötzlich ausgegrenzt und vom antisemitischen Hetzer Julius Streicher in seiner Nazi-Postille Der Stürmer mit Hasstiraden überzogen und für alles Unglück des Landes verantwortlich gemacht wurden.

Und Hamburger erlebte die barbarische Gewalt, zu der eine vermeintlich zivilisierte Gesellschaft plötzlich fähig war. Etwa als ein SA-Trupp eines Nachts seinen Onkel Siegfried in ein Wirtshaus verschleppte, nackt an einen Tisch fesselte und mit Stuhlbeinen halb totschlug. „Ich hab ihn kaum mehr erkannt, als ich ihn mit meinem Vater im Krankenhaus besucht hab“, erinnerte sich Hamburger später.

Auch das gegen Synagogen, jüdische Geschäfte und Familien gerichtete Wüten und Brandschatzen der Pogromnacht des 9.November 1938 musste der Junge noch in Nürnberg mit ansehen. Danach war die letzte Hoffnung seiner Eltern verflogen, dass der braune Spuk bald enden könnte.

Flucht mit 16 Jahren

Sie wollten ihren Sohn in Sicherheit bringen. An Bord des letzten Auswanderungsschiffes jüdischer Flüchtlinge brach der 16-Jährige am 23.August 1939 - wenige Tage vor Kriegsbeginn - Richtung Palästina auf. Die Eltern, die mittlerweile ihr Geschäft verloren hatten und sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielten, blieben zurück.

Wieder musste sich Arno Hamburger als Kämpfer erweisen. Gegen Einsamkeit und Heimweh. Er ging zur britischen Armee, kämpfte im Wüstenkrieg Nordafrikas und kam schließlich als Soldat der Jüdischen Brigade zurück nach Europa. Von Italien aus schlug er sich nach Kriegsende Richtung Deutschland durch.

Seine Heimatstadt Nürnberg empfing ihn damals als Trümmerfeld. Auf dem Jüdischen Friedhof schloss er seine Eltern in die Arme, die hier in der Leichenhalle Zuflucht gefunden und den Nazi-Terror überstanden hatten. Großeltern, Onkel und Tante waren von den Nazis in den KZ Mauthausen und Sobibor ermordet worden.

Eigentlich wollte Arno Hamburger 1945 Nürnberg schleunigst wieder verlassen und zurück nach Palästina. Seinen Eltern zuliebe, die nicht mehr die Kraft für einen Neuanfang in der Fremde verspürten, blieb er dann doch. Als Zuhörer beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher erlebte er die Erbärmlichkeit der einst so großspurig aufgetretenen Nazi-Größen. „Keiner wollte schuld gewesen sein.“ Hamburger verachtete ihre Feigheit.

Als Dolmetscher arbeitete er ab 1946 bei den Folgeprozessen. Es bot sich ihm manch schwindelerregender Blick in die finstersten Abgründe der menschlichen Existenz. Hamburger musste sich durch unzählige Akten arbeiten, die beispielsweise dokumentierten, wie SS-Ärzte an lebenden KZ-Häftlingen erprobt hatten, wie weit deren Körpertemperatur in eiskaltem Wasser abgesenkt werden konnte oder wie viel Druck in Luftkammern ihr Schädel aushielt. Er übersetzte Schreiben, in denen diese Mediziner ungeduldig nach „neuem Material“ verlangten, und er erlebte im Prozess erneut die Ausflüchte der Angeklagten.

Aber Hamburger empfand den erstmals in der Menschheitsgeschichte unternommenen Versuch, die individuelle Schuld an den Gräueltaten einer Diktatur strafrechtlich zu sühnen, bei allem Hadern mit manch mildem Urteil auch als erlösenden Akt der Gerechtigkeit.

Unerträgliche Begegnungen

Unter anderem diese Erfahrung gab ihm wohl die Kraft, in der Stadt, in der er am eigenen Leib die Demütigung und Entrechtung allen jüdischen Lebens erfahren hatte, wieder eine Existenz zu gründen. Auch wenn er dabei immer wieder in die Gesichter der Täter und der alten Nazis schauen musste. Er ertrug es oft kaum.

Ein besonderes Geschenk: Zu seinem 80. Geburtstag übergab Rudi Ceslanski von der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg dem Vorsitzenden Arno Hamburger ein Modell der von den Nazis zerstörten Nürnberger Synagoge, in der er 1936 sein Bar Mizwa gefeiert hatte.

Ein besonderes Geschenk: Zu seinem 80. Geburtstag übergab Rudi Ceslanski von der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg dem Vorsitzenden Arno Hamburger ein Modell der von den Nazis zerstörten Nürnberger Synagoge, in der er 1936 sein Bar Mizwa gefeiert hatte. © Stefan Hippel

Arno Hamburger machte eine Metzgerausbildung und führte danach gemeinsam mit dem Vater den wieder aufgebauten Schlachtbetrieb. Und weil er das neue, das demokratische Nürnberg mitgestalten wollte, engagierte er sich bald auch im öffentlichen Leben der Stadt. Er baute mit den wenigen Nürnberger Juden, die den Holocaust überlebt hatten, die jüdische Gemeinde wieder auf. 1972 übernahm er von seinem Vater deren Vorsitz, den er bis zu seinem Tod innehatte. Im gleichen Jahr wurde der Sozialdemokrat erstmals in den Nürnberger Stadtrat gewählt, dem er seither ununterbrochen angehörte - 41 Jahre lang.

Nicht immer hatten es seine Mitstreiter - wie gesagt - in all diesen Jahren leicht mit Arno Hamburger. Seine Gegner erst recht nicht. Aber wer ihn wirklich verstehen wollte in seiner unbequemen Haltung, der musste nur auf die Biografie dieses unbeugsamen Mannes blicken.

Hamburgers Kompromisslosigkeit erwuchs aus dem Trauma von Verfolgung und Vernichtung. Nie wieder wollte er erleben, dass sich Juden in Deutschland zu spät gegen Unrecht und Diskriminierung wehrten.

Großes Lebensziel

Er wünschte sich ein friedliches Zusammenleben von Juden und Nichtjuden - ohne Hass und Anfeindung. Es war sein großes Lebensziel. Er hat als Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde, als Politiker, als mahnender Zeitzeuge alles getan, ihm näherzukommen.

Erreicht hat er es nicht. Beschimpfungen und Morddrohungen aus der rechtsextremen Ecke, anonyme Anrufe und Briefe gehörten zu seinem Alltag. Angst machen konnte man ihm freilich nicht. Er war entschlossen, sich und die Seinen zu verteidigen. Wenn es hätte sein müssen, auch mit der Waffe, die er zum Schutz stets bei sich trug.

Arno Hamburger widmete bis zuletzt sein arbeitsreiches Leben dem Kampf gegen Rassismus, gegen undemokratische Rückwärtsgewandtheit und gegen das Vergessen. Dass sein Nürnberg ihm dabei folgte, sich seiner historischen Verantwortung stellte und den Ehrgeiz entwickelte, zur Stadt der Menschenrechte zu werden, das machte ihn sehr zufrieden und stolz.

Arno Hamburger war ein wahrlich großer Nürnberger.

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