Auf Achse mit dem Lkw-Fahrer Marcus Birsl
24.6.2014, 20:30 UhrMarcus Birsls Wohnzimmer ist drei Quadratmeter groß, hat Vorhänge an den Fenstern, ein gemütliches Bett, einen ausladenden Kühlschrank — und 460 PS mit vier Achsen. Es ist zeitgleich sein Büro. Fünf von sieben Tagen reist der 36-Jährige mit dem Spitznamen „Brösel“ mit seinem rollenden Wohnzimmer durch Deutschland. Neun bis zehn Stunden am Tag, 2500 Kilometer pro Woche. Marcus Birsl ist Lkw-Fahrer.
Ein Job, der behaftet ist mit Vorurteilen und einem schlechten Image. Aber ein Tag unterwegs mit dem Brummi-Fahrer macht deutlich, welchen Knochenjob Birsl und seine Kollegen jeden Tag erledigen.
Wenn Birsls Arbeitstag beginnt, drehen sich die meisten noch einmal für einige Stunden gemütlich im Bett herum. Um drei Uhr morgens steigt der 36-Jährige in seinen Lkw und macht sich auf den Weg — an diesem Tag in Richtung Schwaben. „Ich fahre lieber nachts. Da ist nicht so viel los auf den Autobahnen.“
In Bad Schussenried liefert er gegen sieben Uhr morgens Autoteile ab. In Buxheim bei Memmingen später Gummibärchen und in Mindelheim am Ende wieder Autoteile. „Bisher weiß ich nur, dass ich mit leerem Anhänger wieder heimfahre, aber das kann sich jederzeit noch ändern.“ Birsl wird recht behalten. Der Disponent seiner Firma findet noch zwei Lieferungen, die er wieder mit nach Nürnberg zurückbringt. 21 Paletten Faltkartons warten in Stetten auf ihn und sechs Paletten Energy-Drinks in Memmingen.
Wenig Anerkennung
Tausende Lkws bringen Tag für Tag Waren von A nach B. Sie sind für die heutige Gesellschaft unersetzlich. Täglich frische Ware liegt nur im Supermarkt, weil sie von Lkws angeliefert wurde. Gleiches gilt für Post, Medikamente in der Apotheke, Semmeln beim Bäcker, die Zeitung im Briefkasten. „Ich würde mir wünschen, dass unser Job von den Leuten mehr respektiert wird und größere Anerkennung erfährt“, sagt Birsl. Seit zehn Jahren ist er als Fernfahrer für den Nürnberger Logistiker Windisch unterwegs.
Birsl erlebt täglich auf den Autobahnen, dass es mit der Anerkennung nicht weit her ist. Autofahrer schneiden Lkws, weil sie noch schnell überholen wollen, bevor sie die Ausfahrt nehmen, drängen überholende Lkws mit Lichthupe, gestikulieren wild oder bremsen auch schon einmal einen Lkw aus. „Wir sind hier nicht zum Vergnügen auf der Straße, sondern wir machen unsere Arbeit.“ Vorurteile, mit denen Lkw-Fahrer immer wieder konfrontiert werden, lässt Birsl dabei nicht gelten. „Ich kann von mir sagen, dass ich keine Fußnägel schneide während der Fahrt oder mit dem Lkw einfach rausziehe, ohne zu blinken, oder dass ich Lenkzeiten nicht einhalte. Dafür ist mir mein Leben zu viel wert — und nebenbei kostet das sehr viel Geld, wenn die Polizei einen aufhält.“
Knapp am Unfall vorbei
Alle 4,5 Stunden muss ein Lkw-Fahrer 45 Minuten Pause machen. Pro Tag ist eine Fahrzeit von neun Stunden erlaubt, zweimal pro Woche zehn Stunden. Pro Woche darf ein Brummi-Fahrer nicht mehr als 56 Stunden am Steuer sitzen. Der 36-Jährige hält sich strikt daran — auch wenn die Zeit des Ausladens schon mal als Pause eingerechnet wird, anstatt wirklicher Erholung. „Was soll ich denn machen? Wenn ich nur rumsitze, während die anderen in meinem Lkw hinten fuhrwerken, kann ich sowieso nicht entspannen.“ In 14 Jahren als Lkw-Fahrer erinnert sich Birsl lediglich an eine brenzlige Situation. Im März dieses Jahres fuhr er nachts auf der A73 Richtung Coburg, als sein Lkw plötzlich eine Vollbremsung machte. Der integrierte Notbremsassistent zwang den voll beladenen Lkw zum Stoppen – weil vor Birsls 40-Tonner ein unbeleuchtetes Auto stand, das in einen Unfall verwickelt war. „Ohne das technische Sicherheitssystem wäre ich dem Auto voll reingefahren – das hätte der Fahrer nicht überlebt.“
„Ich liebe diesen Job“
Der 36-Jährige fände es gut, wenn auf den Autobahnen nur Lkws mit Abstands-Regel-Tempomat, Notbrems- und Spurassistent fahren würden. „Aber erstens kann jeder Lkw-Fahrer das ausschalten und zweitens fahren zum Teil so alte Lkws auf den Straßen, dass die noch nicht einmal einen Airbag haben.“ Wenn Marcus Birsl noch ein paar Wünsche frei hätte, dann würde er sich wünschen, ausreichend Lkw-Parkplätze entlang der Autobahn zu finden, immer freundliche Kunden zu haben, die ihn mit einem Lächeln und Respekt empfangen, wenn er ihre Ware bringt. Und mehr von den Kollegen zu haben, die sich nicht völlig übermüdet ans Steuer setzen.
Doch das alles ist bisher nur Wunschdenken — und noch lange nicht die Realität. Trotzdem: „Ich liebe diesen Job. Ich wollte das schon als Kind machen“, sagt er, als er nach seinem Vierzehn-Stunden-Arbeitstag in Nürnberg aus seinem Lkw steigt. Zehn Stunden Fahrt auf Bayerns Autobahnen und Bundesstraßen liegen hinter ihm.
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