Auf dem Aufseßplatz sitzen zwei Nackedeis

10.10.2017, 12:20 Uhr
Der Nymphenbrunnen mit seiner mondänen Häuserkulisse und viel Grün drumherum, aufgenommen um 1905.

© Hermann Martin (Sammlung Sebastian Gulden) Der Nymphenbrunnen mit seiner mondänen Häuserkulisse und viel Grün drumherum, aufgenommen um 1905.

Viele Nürnberger meckern gerne über die Südstadt, und noch mehr meckern sie über die in ihren Augen sinnlose Investition in öffentliche Denkmäler. Der seinerzeit sagenhaft teure Nymphenbrunnen am Aufseßplatz in Galgenhof wird sie darin bestätigen, dass das alles ja schon immer so war. Andere schweigen einfach und erfreuen sich an einem Brunnen, der sie an die Glanzzeit der Südstadt erinnert.

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nämlich erlebte diese einen unerhörten Boom: Rund um die Industriebetriebe, die sich hier angesiedelt hatten, schoss Wohnhaus um Wohnhaus, gefolgt von Prachtbauten wie Schulhäusern und Kirchen, in die Höhe. Mittendrin: die Vereinigten Fränkischen Schuhfabriken, ein Nürnberg-Fürther Gemeinschaftsunternehmen von Max Brust und dem Brüderpaar Louis und Albert Berneis.

Max Brust kam es gelegen, dass die Stadt unmittelbar nördlich seiner Villa – sie stand anstelle des Kaufhauses Schocken – einen großen, repräsentativen Platz geplant hatte, eine Art Taschenausgabe des "Central Parks" für die Bewohner der Südstadt. Wie viele Nürnberger Geschäftsleute jüdischen Glaubens – man denke an Ludwig von Gerngros, Heinrich Berolzheimer oder Joseph Hopf – wollte auch Max Brust seinen Teil zum Wohl der Allgemeinheit beitragen. Er entschied sich 1895 für einen prächtigen Brunnen, der Natur- und Kunstliebhaber gleichermaßen beglücken sollte.

122 Jahre später hat das Grau des Betons Besitz vom Aufseßplatz ergriffen, und auch die istorische Häuserlandschaft ist kriegsbedingt ausgedünnt.

122 Jahre später hat das Grau des Betons Besitz vom Aufseßplatz ergriffen, und auch die istorische Häuserlandschaft ist kriegsbedingt ausgedünnt. © Boris Leuthold

Für diesen Brunnen griff Brust tief in sein Portemonnaie: Sagenhafte 250.000 Mark kostete die Platzverschönerung. Bedenkt man, dass damals im Deutschen Reich ein Fabrikarbeiter pro Jahr durchschnittlich 665 Mark verdiente, werden die Dimensionen bewusst. Dafür gewann Brust mit dem Bildhauer Fritz Zadow und dem Erzgießer Christoph Lenz zwei der führenden Meister der Stadt.

Ganz im Sinne der Idee eines Stücks Natur inmitten der Großstadt wählte Bildhauer Zadow eine splitterfasernackte Wassernymphe, einen Naturgeist in Gestalt einer jungen Frau, als Hauptfigur des Brunnens. Um die Jahrhundertwende boten Gestalten aus der Sagenwelt eine gesellschaftlich akzeptierte Gelegenheit, nackte Körper darzustellen. Selbst dem prüdesten Zeitgenossen leuchtete ein, dass eine Nymphe mit Mieder und Reifrock "fei gscheid bläid" ausgesehen hätte.

Schon bald nach der Einweihung produzierte der bekannte Leipziger Verlag Dr. Trenkler eine Ansichtskarte des Nymphenbrunnens, und das sogar in Farbe.

Schon bald nach der Einweihung produzierte der bekannte Leipziger Verlag Dr. Trenkler eine Ansichtskarte des Nymphenbrunnens, und das sogar in Farbe. © Verlag Dr. Trenkler & Co. (Sammlung Sebastian Gulden)

Doch Zadow trieb es auf die Spitze: Das thronartige Postament, auf dem die Nymphe sitzt, flankieren vier ziemlich gruselige Mischwesen mit barbusigen Frauenkörpern und Widderköpfen, die gewiss schon vor 100 Jahren Anlass zu dümmlichen Altherrenwitzen gaben. Am Fuße des Postaments erbost sich ein kleiner Bub im Adamskostüm darüber, dass eine von der Seite anfliegende Gans ihm das Brunnenwasser auf die Oberschenkel spuckt.

Der Nymphenbrunnen ist heute ein beredtes Zeugnis dafür, dass sich Nürnberg mit seinen Plätzen schwertut – oder besser: mit der lebensbejahenden Gestaltung derselben. Und so sitzt die junge Dame mit dem kecken Dutt, wie es zu ihrer Entstehungszeit Mode war, heute inmitten einer Wüste aus Beton. Jedes bisschen Grün von nennenswertem Umfang hält ehrfürchtigen Abstand. Da beschleicht einen unweigerlich das Gefühl, dass die Planer der Platzneugestaltung nach dem Krieg einiges nicht mitgekriegt haben, zum Beispiel, dass Nymphen berufsbedingt eine Vorliebe für Natur und Bäume haben.

Nur der Brunnen und das Anwesen Aufseßplatz 5 haben den Krieg einigermaßen heil überstanden, auch wenn die reiche Dachlandschaft des Hauses heute vereinfacht ist.

Nur der Brunnen und das Anwesen Aufseßplatz 5 haben den Krieg einigermaßen heil überstanden, auch wenn die reiche Dachlandschaft des Hauses heute vereinfacht ist. © Boris Leuthold

Von den Mietspalästen mit ihren reichen Sandsteinfassaden und Dachlandschaften, die auf unserem historischen Bild die mondäne Kulisse für den Brunnen bilden, hat nur ein einziger überlebt: Das Haus Aufseßplatz 5, ein Bau im Nürnberger Stil, war 1897, nur zwei Jahre nach dem Brunnen, vollendet. Sein Zwilling Nr. 9 musste ebenso wie die übrigen Bauten an der Ostflanke des Platzes nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Neubauten weichen.

Hans von und zu Aufseß, Gründer des Germanischen Nationalmuseums und Namensgeber des Platzes, hat den Nymphenbrunnen übrigens nie gesehen: Er starb 13 Jahre vor seiner Einweihung. Investitionen in Kunst, die für alle da ist, hätte er aber gewiss gutgeheißen, und sicherlich auch ein bisschen mehr Grün für die einsame Nymphe und ihre Entourage.

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