Aufnahmestopp: Immer mehr Kinderärzte überfordert

18.11.2017, 05:30 Uhr
Im Winter sind die Wartezimmer besonders voll. Ragnar Dörrfuß und seine Kollegen haben alle Hände voll zu tun.

© Roland Fengler Im Winter sind die Wartezimmer besonders voll. Ragnar Dörrfuß und seine Kollegen haben alle Hände voll zu tun.

Laut Umfrage des Paednetzes Bayern, dem rund 90 Prozent der Kinderärzte im Freistaat angehören, hat jede zweite Praxis bereits kleine Patienten abgewiesen, wenn diese älter als sechs Monate waren und somit schon von einem Kollegen behandelt wurden. Jeder vierte Kinderarzt hat demnach sogar auch jüngere Patienten nicht angenommen, zum Beispiel, weil sie nicht aus dem eigenen Einzugsbereich kamen.

"Wir reagieren aus der Not heraus", sagt Dr. Wolfgang Landendörfer, zweiter Vorsitzender des Paednetzes. Würden die Mediziner zu viele Termine vergeben, drohe eine "Zwei-Minuten-Medizin", sagt der Arzt, der mit drei Kollegen eine große Praxis in Mögeldorf führt. "Und dann besteht die Gefahr, dass wir womöglich ernsthafte Krankheiten übersehen. Außerdem macht das beide Seiten nicht glücklich." Sein Kollege Dr. Ragnar Dörrfuß aus Gostenhof sieht es ähnlich. Vor allem im Winter, wenn die Wartezimmer wegen der vielen Infekte besonders voll sind, sei der Zeitdruck groß. "Wir laufen immer auf Hochtouren."

Manche Kinderärzte stemmen eine 50- bis 60-Stunden-Woche, weil das Arbeitspensum sonst nicht zu schaffen sei, wie Dr. Roland Ulmer betont. Der Vizepräsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, der in Lauf eine Praxis betreibt, kritisiert, dass die gestiegenen Anforderungen von den Kassen bisher nicht berücksichtigt werden. Die derzeitige Planung orientiere sich allein an der Zahl der Heranwachsenden, die in einem bestimmten Gebiet leben, klagt er. "Nie hat jemand geschaut, wie viel Zeit ein Mediziner für die Versorgung eigentlich braucht."

Vorsorgeuntersuchungen verdoppelt

Und gerade dieser Zeitbedarf pro kleinem Patienten ist laut Ulmer in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, denn die Mediziner sehen sich mit immer neuen Anforderungen konfrontiert. Seit 1990 habe sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen mehr als verdoppelt, "auch neue Impfungen kamen dazu."

Viel häufiger als früher müssen sich die Ärzte laut Ulmer zudem um Kinder um Entwicklungsauffälligkeiten kümmern. Sprachverzögerungen, Erziehungsprobleme, ADHS — die erste Anlaufstelle, so Ulmer, sei bei all dem immer der Kinderarzt. Weil mehr Kinder in Krippen betreut werden, machen sie früher die typische Krankheitsphase mit vielen Infekten durch, auch das kostet mehr Zeit – auch, weil die Eltern eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung benötigen, um die Kleinen daheim betreuen zu können. Mehr als zehn Prozent der Arbeitszeit gehe für nichtmedizinische Aufgaben drauf, klagt Landendörfer. Zudem kämpfen die Ärzte häufiger mit Sprachbarrieren, weil sie immer mehr Migranten- und Flüchtlingskinder betreuen.

Immerhin werden die Vorgaben derzeit überarbeitet, Ulmer hofft, dass sie dann die neuen Aufgaben berücksichtigen und die Kassen entsprechend mehr Mittel bereit stellen werden. Doch bis dahin, so fürchtet er, werde sich das Problem verschärfen, denn schon jetzt fehlt vielerorts der Nachwuchs — für die einzige Praxis in Pegnitz fand sich kein Nachfolger. In den kommenden Jahren geht jeder vierte Kinderarzt in Bayern in den Ruhestand.

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