Bandidos-Prozess: Ist Aussage eines Kriminellen glaubhaft?

26.4.2018, 18:45 Uhr

Bei Pinocchio ist es einfach: Lügt der Hampelmann, wächst seine Nase – ein Traum für die Wahrheitsfindung. So einfach ist es im Gerichtssaal nicht: Aussagen zu würdigen, gehört zwar zum Alltag von Richtern, doch Wahrheit oder Lüge lässt sich an Nasenspitzen leider nicht ablesen. So werden immer wieder Psychologen zu Rate gezogen, etwa wenn psychisch Kranke, Kinder oder intelligenzgeminderte Zeugen befragt werden. Und auch im Prozess um die V-Mann-Affäre beim Landeskriminalamt werden Gutachter gehört: Die Frage, wie glaubwürdig der Ex-Spitzel und Belastungszeuge Mario Forster ist, spielt eine nicht unbedeutende Rolle – obendrein attestierten ihm frühere Gutachter "wahnhafte Züge".

11.000 Seiten umfassen die Akten, die Materie ist verzwickt. Mario Forster sitzt als Nebenkläger in der 13. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth und erhebt schwere Vorwürfe: Von 2009 bis 2011, knapp drei Jahre, schlich er sich – im Auftrag des LKA – in Regensburg in die Rocker-Gang der Bandidos ein, verkaufte sein Wissen an die Polizei. Er behauptet: In all dieser Zeit hat die Behörde seine Straftaten nicht nur gedeckt. Er wurde regelrecht dazu angestachelt.

Doppeltes Spiel?

Forster, er ist zigfach vorbestraft, kam weit in der Rocker-Hierarchie: Vielleicht auch, weil er sich nicht an die Regeln (auch als V-Mann darf er keine Straftaten begehen) hielt. Er dealte, lieferte den Bandidos Frauen für deren Bordelle, klaute Bagger, schmuggelte antike Münzen. Sein Eindruck: Wird er geschnappt, hauen ihn seine Führungsbeamten raus.

Seine Sicherheit kam nicht von ungefähr: Im September 2011 wurde er mit drei gestohlenen Baggern im Landkreis Schwandorf erwischt, er hatte die Fahrzeuge von Dänemark im 40-Tonner über die Grenze gekarrt. Amberger Kripo-Beamte nahmen ihn fest – doch um den Spitzel nicht zu verbrennen, entschied der Amberger Einsatzleiter, ihn wieder auf freien Fuß zu setzten. Allerdings: das LKA informierte er nicht.Was stimmt denn nun? Weiß bei den Behörden die rechte Hand nicht, was die linke macht? Spielte Forster ein doppeltes Spiel? Oder trifft alles zusammen?

Kein Wahn, keine Paranoia

Die Psychologin Sarah Günther-von Jan wälzte Akten, unterhielt sich stundenlang mit dem 50-Jährigen Forster. Freundlich habe er ihre Fragen beantwortet, sagt sie, doch höre er sich gerne reden, neige zu verzerrten Darstellungen, weise manipulative Tendenzen auf. Um Missverständnisse zu vermeiden: Sie analysiert nur die für das Gericht relevante Erzählung – darum, einem Menschen allgemein Glaubwürdigkeit zu attestieren, geht es nicht. Die erste Hürde: Ist Forster fähig, einen Sachverhalt zuverlässig wahrzunehmen, ist er aussagetüchtig? Mario Forster sei mindestens durchschnittlich intelligent, sagt Thomas Wenske, Psychiater an der Klinik für Forensische Psychiatrie in Erlangen. Hinweise auf psychiatrische Krankheiten sieht er nicht. Frühere Gutachten, die Forster "Wahn und paranoide Züge" unterstellten, nennt er schockierend.

Psychologin Günther-von Jan startet mit der "Nullhypothese": Sie unterstellt, die Aussage des Zeugen sei nicht richtig und versucht nachzuweisen, dass dessen Angaben doch wahr sind. Dafür schaut sie auf die Logik der Aussage, sucht nach Details, beobachtet, ob sich der Zeuge verbessert oder belastet – wer lügt, ist nur begrenzt bereit, sich zu korrigieren. Und sie fragt nach möglichen Motiven für Falschaussagen.

Motiv für Falschaussage

Es muss nicht immer eine Lüge sein: Zeugen können unsicher sein, sich falsch erinnern oder sich in ein besseres Licht rücken wollen. Forster räumt ein, dass er die Akten kenne und nicht immer unterscheiden könne, was er erlebt und was er gelesen habe.Gleichzeitig gibt es ein Motiv für eine bewusste Falschaussage: Rache.

Im November 2011 wurde er mit Drogen geschnappt und erklärte dies später vor dem Landgericht Würzburg damit, für das LKA Infos aus dem Rauschgiftmilieu gesammelt zu haben. Seine früheren Führungsbeamten sagten aus Zeugen aus und stellten ihn als Spinner dar, Psychiater unterstellten ihm "wahnhafte Züge". Am Ende verhängten die Richter fast sieben Jahre Freiheitsstrafe; Forster fühlt sich seither als Opfer. Unbestritten ist, dass er LKA-Spitzel war, doch hat er, hinter dem Rücken der Polizisten, diese Position ausgenutzt, um zu seinem eigenen Vorteil Straftaten zu begehen?

Er lebte damals vom Spitzel-Honorar, das LKA kaufte ihm eine Harley-Davidson und leaste ihm einen E-Klasse-Mercedes, er kutschierte den Bandidos-Chef durch die Lande. Als er das Kilometerlimit überschritt, ließ er in einer Nürnberger Hinterhofwerkstatt den Tachometer zurückdrehen – angeblich mit Wissen des LKA.

Lügen – auch aus Selbstschutz

Im Detail wackeln diese Angaben: Auffällig sei, so die Gutachterin, dass er den Werkstatt-Besuch abwechselnd mit Erinnerungen an einen Öl- und einen Reifenwechsel kombiniere. Nur nebenbei: Die Tankrechnungen ließ er sich doppelt bezahlen, vom LKA und den Rockern.

Als er mit den gestohlenen Baggern erwischt wurde, hatte er gefälschte Frachtpapiere bei sich – einmal gibt er an, sie selbst gestempelt zu haben, ein anderes Mal sollen es Mitarbeiter der Baumaschinenfirma gewesen sein. Auch die Angaben zum Suchtmittelkonsum schwanken: Mal schildere er seinen Drogenverbrauch als maßlos, dann räumt er ein, im Würzburger Prozess die Drogenabhängigkeit nur vorgegaukelt zu haben – seine Haftstrafe wäre sonst höher ausgefallen. Er log, wenn auch aus Selbstschutz. Widersprüchlich seien auch seine Angaben zu einem angeblichen Schmuggel antiker Münzen von Tunesien nach Deutschland: Abwechselnd schildert Forster, auf Anweisung des LKA nach Tunesien geflogen zu sein, dann spreche er von einer Urlaubsreise. Das Fazit: Über die Nullhypothese kommt die Gutachterin nicht hinaus. Der Prozess geht weiter.