Beim Feiern in Nürnberg noch einmal die Sau rauslassen

29.7.2013, 17:41 Uhr
Der Hauptmarkt ist der beliebteste Treffpunkt für Junggesellenabschiede.

© Tanja Toplak Der Hauptmarkt ist der beliebteste Treffpunkt für Junggesellenabschiede.

22 Uhr an einem Samstagabend auf dem Hauptmarkt: Bella hat einen Bauchladen umgeschnallt, aus dem sie kichernd lustige Wundertüten, kleine Schnäpse und Lutscher in Phallusform zieht. „Ooch bitte, nur ein Teil kaufen, kostet auch nur zwei Euro!“, bettelt die Neumarkterin. Derweil suchen Bellas Begleiterinnen mit pinkfarbener Schärpe potenzielle Kunden. Auf den Shirts einer weiterne Gruppe steht „Wolfsrudel@Mission Vermählung“, und sie wollen „einfach nur ein bisschen Gaudi machen“.

Das will Andreas aus Kulmbach langsam nicht mehr. Seit Stunden steckt er in einem Riesenbabykostüm, und es gehe ihm mittlerweile gewaltig auf die Nerven, mault er mit schwerer Zunge. Währenddessen tragen Julia aus Windsbach und ihre Entourage ihre groß geblümten Uniformen mit Verve. Weitere vier Gruppen queren derweil die Museumsbrücke in Richtung irgendeiner Partystätte.

Gute Stimmung ist Pflicht.

Gute Stimmung ist Pflicht. © Tanja Toplak

Was vor circa zehn Jahren als vereinzelt auftretendes Phänomen aus Großbritannien („Hen’s Night“) zu uns herüberschwappte, gehört mittlerweile zum gewohnten Bild vieler Städte. „Junggesellenabschiede“ (JGAs) verfolgen den Zweck, noch einmal richtig einen draufzumachen, bevor Braut und Bräutigam in den Hafen der Ehe einlaufen.

Der Junggeselle wird möglichst peinlich kostümiert, um möglichst kompromittierende Aufgaben (Küsse einheimsen, Etiketten aus Slips schneiden, mit Straßenmusikern singen) zu absolvieren oder Dinge zu verkaufen, mit deren Erlös der feuchtfröhliche Abend finanziert werden soll. Freilich gibt es auch JGAs, die ganz unauffällig Kanufahrten und Ausflüge in den Hochseilgarten machen. Mancher geht mit seinen Freunden auch nur ganz zivil einen Trinken.

80 Gruppen an einem Abend

Aufsehen erregen dagegen die Gruppen in ihren typischen Uniformen, von denen es an manchen Abenden regelrecht wimmelt. „Inflationäre Züge“ habe das Treiben angenommen, sagt Gastronom Mirko Könicke, dessen „Balkon“ am Eingang der Königstraße liegt. Er hat mal einen Tag lang mitgezählt und kam auf sage und schreibe 80 Gruppen.

Beim Feiern in Nürnberg noch einmal die Sau rauslassen

© Tanja Toplak

Und wo gehen die alle hin? „In Gostenhof oder Johannis habe ich selber noch keine JGAs beobachtet“, so Robert Pollack, stellvertretender Dienststellenleiter beim Ordnungsamt. „Die konzentrieren sich freilich alle in der Innenstadt.“ Besonders betroffen sei alles zwischen Hauptbahnhof und Burgviertel, und es sei nicht ungewöhnlich, fünf der lustigen Truppen auf einem Fleck anzutreffen — so wie eingangs erwähnt auf dem Hauptmarkt. „Wir wissen, dass es sehr viele JGAs in Nürnberg gibt und dass das nervt“, sagt eine Teilnehmerin. Aber die Braut, die habe sich das eben so gewünscht. Warum man dann nicht daheim um die Häuser ziehe? „Na, weil hier einfach viel mehr los ist“, heißt es fröhlich.

Vielen Gastronomen wird das inzwischen zu viel, wie eine Umfrage unter 20 Betreibern verschiedener Innenstadtlokale ergab. Michael Weghorn (Downtown, USG6) sagt, was viele denken: „Handelt es sich um eine richtige ,Terror-Squad‘, die grölend in den Laden bricht, von zehn Leuten drei ein Bier, zwei ein Leitungswasser und der Rest gar nichts bestellt, am besten noch mit einem Bauchladen bewaffnet Gäste nervt, dann gibt es ein klares Nein von unserer Seite. Ist die Gruppe gesellig und in vernünftiger Trink-Laune, fügt sie sich in die Raumstimmung ein, um einfach einen lustigen Abend zu haben, der es ja auch an so einem speziellen Tag sein soll, dann herzlich willkommen.“

Flüssigen Proviant haben die meisten Abschiede dabei. Gerne versuchen die Junggesellen und Junggesellinnen die Fläschchen an den Mann zu bringen.

Flüssigen Proviant haben die meisten Abschiede dabei. Gerne versuchen die Junggesellen und Junggesellinnen die Fläschchen an den Mann zu bringen. © Tanja Toplak

Andere beklagen, dass in der Feierlaune „null Rücksicht auf Anwohner“ genommen werde. Gastwirt David Lodhi (Mono, Stereo, Moser) hat schon erlebt, dass Türsteher, die den Einlass verweigern, „beschimpft und andere Gäste angemacht“ werden. „Es wird geschrieen, gejohlt, gegrölt.“ Die Beschwerden fielen dann auf den Betreiber zurück, während der Junggesellenabschied längst weitergezogen sei. Stefan Schulz (Mata Hari Bar) hat die Erfahrung gemacht, dass „die gemütliche Grundstimmung sehr schnell kaputtgeht, wenn permanent größere Gruppen ein- und ausgehen“. Manche Gastronomen greifen deshalb zu einem radikalen Mittel und lassen Junggesellenabschiede grundsätzlich nicht mehr rein.

In dem Einlassverbot sieht auch Ordnungsamtsmitarbeiter Pollack die einzige Möglichkeit, dem zum Problem mutierten Phänomen beizukommen. Die Behörde und die Gastwirte sprechen ein solches Vorgehen auch miteinander ab. „Die Rechtslage ist äußerst schwierig in diesen Fällen. Alkoholkonsum im öffentlichen Raum ist ja gestattet, schwierig wird es erst bei übermäßigem Lärmen oder Vandalismus. Man kann auch nicht prinzipiell sagen, dass es sich beim Bauchladen-Verkauf um eine gewerbliche Tätigkeit handelt, bei der man eine entsprechende Genehmigung vorlegen können müsste.“ Ein solches Vergehen würde von der Polizei als Ordnungswidrigkeit erfasst, erscheine aber nicht explizit in einer Statistik, so Peter Schnellinger, Sprecher der Polizei Mittelfranken. „Wir haben keinerlei Zahlen über dieses Phänomen“, sagt Schnellinger.

Rosa Handschellen

Wer ganz nah dran ist am Geschehen, das ist Martin Markert, Geschäftsführer der Partyzubehör-Kette „Feiermeier“ in der Sigmundstraße. Er beobachtet, dass „seit circa einem Jahr diese verkleideten Gruppenbesäufnisse im Rahmen einer Eheschließung massiv zugenommen“ hätten. Und mit ihnen Nachfrage und Angebot entsprechender Artikel. Banner, Krawatten, Teufelshörner, Polizeiknüppel und Handschellen, vornehmlich in Rosa, „gehen weg wie warme Semmeln“.

Zudem weist Markert den Anschein, es handle sich hierbei um Aktionen, bei denen Braut und Bräutigam völlig unfreiwillig zu irgendwas gezwungen würden, weit zurück: „Die stehen hier alle schön pseudo-genant mit dabei und haben einen Mordsspaß, sich die allerpeinlichsten Dinge rauszusuchen, um sich zum Deppen zu machen. Da gibt es keine Opfer.“

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