Brexit-Folgen: "Eines ist sicher, es wird ein Chaos geben"

24.2.2017, 05:57 Uhr
Brexit-Folgen:

© Foto: Eduard Weigert

Laut statistischem Amt leben 829 Personen mit britischem Pass im Stadtgebiet. Während 2015 gerade mal ein einziger Brite die Unterlagen für die deutsche Staatsbürgerschaft im Nürnberger Einwohneramt anforderte, waren es im vergangenen Jahr bereits 23 Frauen und Männer. Der "Brexit"-Beschluss hat viele schockiert: "Ich habe mich geschämt", sagt Perminder Chattha, "ich dachte, die Engländer sind tolerant. Und ich habe diese Toleranz immer verteidigt." Die 49-Jährige verbrachte die erste Hälfte ihres Lebens auf der Insel, die zweite in Franken.

Der Riss ging mitten durch ihre indischstämmige Familie: "Meine Mutter und viele ihrer älteren indischen Freundinnen in Großbritannien wollen nicht, dass Muslime einwandern." Sie würden fürchten, dass gewalttätige Islamisten ins Land kommen. Auch Chatthas Argument, dass die Mutter selbst einst von Indien voll Hoffnung nach England eingewandert sei, zog nicht: Die ältere Dame stimmte für den Austritt aus der EU.

Die freiberufliche Englischlehrerin Chattha entschied sich, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen - und musste dafür selbst die übliche Einbürgerungsprüfung absolvieren, bei der sie 91 Prozent richtige Antworten gab.

Bruce Pye war sogar noch besser und beantwortete alle 33 Fragen des anspruchsvollen Tests richtig. Es gab Fragen zur Geschichte Deutschlands im Nationalsozialismus, zur Gewaltenteilung oder auch zur Optik eines Wahlzettels. Der frühere Leiter der Englischabteilung im Bildungszentrum hat die deutsche Staatsbürgerschaft im April 2016 beantragt, weil "ich überzeugter Europäer bin, trotz aller Unzulänglichkeiten der EU".

Drei Monate später erhielt er den Bescheid, dass er nun neben dem englischen auch einen deutschen Pass besitzt. Doch muss er sich für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden, wenn Großbritannien die EU rechtskräftig verlassen hat? Oder gilt Bestandsschutz für bestehende Regelungen? Darüber herrscht auch bei Experten Unklarheit.

"Eine gute Frage", meint Olaf Kuch, Leiter des Nürnberger Einwohneramts, der sie aber selbst nicht beantworten kann. Denn es kommt auf die bevorstehenden Verhandlungen über die Ausstiegsmodalitäten zwischen EU und dem United Kingdom an.

Ein großes Durcheinander

Dies gilt ebenso für die Frage, wie in Deutschland lebende Briten künftig behandelt werden: Ist Großbritannien künftig nur mehr reiner Drittstaat mit entsprechenden Regelungen oder gibt es gesonderte Vereinbarungen? Alles Verhandlungssache. Eines ist in dem ganzen Durcheinander aber klar: Briten müssen bei der Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft die klassische Einbürgerung durchlaufen. Es gibt keinen Bonus für EU-Befürworter.

Bruce Pye fragt sich nun, wie es mit seinen in England lebenden Kindern weitergeht. Ein Sohn hat eine französische Partnerin - welche bürokratischen Bestimmungen gibt es dort künftig für EU-Bürger? Ein anderer, soeben eingebürgerter Nürnberger Brite fragt sich, ob EU-Bürger eine Duldung beantragen können, wenn sie in Großbritannien leben wollen.

Und wie ist es mit den vielen Briten, die auf dem Festland in europäischen Firmen arbeiten - was wird für diesen Personenkreis vereinbart? "Es gibt viele Gerüchte und wenig Wissen", meint der Schulbuchautor, "eines ist sicher, nämlich, dass es ein Chaos gibt."

 

 

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