Brunnen mit verhängnisvollen Geschichten

3.7.2017, 19:25 Uhr
Brunnen mit verhängnisvollen Geschichten

© Foto: Hermann MartinFoto: Sebastian Gulden

Brunnen mit verhängnisvollen Geschichten

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Die Wiener sind nicht die Einzigen, die einen Prater ihr Eigen nennen: Auch die Münchner, die Berliner und die Nürnberger haben einen. Alle aber verdanken ihren Namen dem Wiener Original, so auch "unser" Prater: 1843 taufte Conrad Friedrich Rupprecht seine Gaststätte am Spittlertorgraben 31 eigens auf diesen Namen um. Die angrenzende Straße und die Grünanlage, deren eigenartige Dreiecksform dem Grundriss einer abgetragenen Fronte der Festung Nürnberg folgt, übernahmen später diese Bezeichnung.

Anders als auf dem Wiener Wurstelprater, wo schon vor über 100 Jahren eine gut geölte Vergnügungsmaschinerie die Massen lockte, blieb das Nürnberger Pendant der Bedeutung seines Namens treu: "Pratum", das heißt im Lateinischen "Wiese", und eine solche Wiese, die der Erholung diente, war unser Prater. Dort konnte man zwischen hohen Laubbäumen auf Bänken rund um den zentralen Teich die Seele baumeln lassen.

1903 wollte die Stadt die Anlage mit einem Brunnen verschönern und schrieb dazu einen Wettbewerb aus, den Philipp Kittler gewann. Mit seinem Assistenten Ferdinand Göschel schuf der Bildhauer einen Springbrunnen mit zwei übereinander angeordneten Becken, zungenartigen Streben und einer Einfassung mit fischköpfigen Wasserspeiern in Formen des Jugendstils. Den unteren Beckenrand versah er mit Versen eines Liebeslieds von 1471. Auf der zentralen Säule steht ein lautenspielender Minnesänger in mittelalterlichem Gewand aus Bronze. Am Beckenrand begleiten ihn drei auf Wellen reitende Wassergeister mit Fidel, Drehleier und Schalmei. Gegossen wurden die Plastiken von Christoph Lenz und Johann Brandstätter in der berühmten Werkstätte des Daniel Burgschmiet in St. Johannis.

Brunnen mit verhängnisvollen Geschichten

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Wer sich fragt, warum man dem Minnesang in Nürnberg ein so aufwändiges Denkmal setzte, befindet sich in guter Gesellschaft mit einem der angesehensten Kulturwissenschaftler unserer Stadt: Theodor Hampe – zweiter Direktor des Germanischen Nationalmuseums – hatte Bildhauer Kittler bearbeitet, er solle doch lieber ein Bildwerk mit Bezug zum deutschen Volkslied machen. Allein, Hampe war kein Erfolg beschieden – die Stadtspitze bestand auf den Minnesänger. Und so wurde der Brunnen am 1. November 1905 feierlich enthüllt.

Der Minnesänger- und der Neptunbrunnen haben manches gemein. Beide sind Stiftungen von Bürgern jüdischen Glaubens: Während der Neptunbrunnen auf eine Stiftung des Hopfenbarons Ludwig von Gerngros zurückgeht, finanzierte den Minnesängerbrunnen Babette Bach, die Witwe des 1897 verstorbenen Spiegelglasfabrikanten Joseph Bach. Beide Brunnen durften nicht an den Orten bleiben, für die sie bestimmt waren.

Beim Neptun führte antisemitische Hetze zur Verbannung vom Hauptmarkt auf den heutigen Willy-Brandt-Platz. Und auch beim Minnesänger kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es um mehr ging als reine Sachzwänge: Bei der Verbreiterung des Spittlertorgrabens 1936, wodurch die Prateranlage stark verkleinert wurde, baute die Stadt den Brunnen ab, obwohl sein Standort vom Straßenausbau gar nicht betroffen war. Als der Brunnen 1938 an seinem heutigen Standort in der Rosenau wieder aufgerichtet war, hatte er nicht nur einen Teil seines Jugendstilschmucks verloren, auch die Stiftertafel war sang- und klanglos verschwunden.

Im Rosenaupark steht der Minnesängerbrunnen zwar alles andere als schlecht inmitten von hohen, schattenspendenden Bäumen; die ohnehin bescheidene Prateranlage aber ist ohne ihren künstlerischen Glanzpunkt heute kaum mehr als ein grünes Handtuch. So bleibt einem beim Verweilen auf den Parkbänken im herben Umfeld von Waschbetonsteinen nur der Blick auf die grünen Baumkronen und die alte Stadtmauer.

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