Club-Ultras reizten die "Schickeria" bis aufs Blut

10.2.2014, 06:00 Uhr
In bestem Fränkisch wurde die spektakulärste Beute angekündigt.

© Sportfoto Zink / JüRa In bestem Fränkisch wurde die spektakulärste Beute angekündigt.

Nach einem dem Champions-League-Heimspiel gegen den SSC Neapel im November 2011 war die 40 Meter lange, rote Zaunfahne einem Mitglied der Münchner „Schickeria“ im heimischen Treppenhaus regelrecht entrissen worden. Jetzt halten Nürnberger Ultras das Heiligtum "Südkurve – Herz und Seele unseres Vereins“ wie eine Trophäe in den Händen – und zerreißen es genüsslich in Stücke. Eine Provokation ohnegleichen für die Münchner Ultras.

Mehrere Dutzend von ihnen stürzen Augenblicke später von ihren Plätzen im Gäste-Block auf den Stadion-Umgang, versuchen mit Vehemenz, auf die Nordseite der Anlage zu kommen. Die Polizei zieht mehrere USK-Gruppen in der Südkurve zusammen – es gelingt gerade noch, einen Durchbruch der wütenden Bayern-Anhänger zu verhindern, die immer wieder gegen die Trennwände des Stadions anzulaufen versuchen.

Gerüchte in der Szene

Die Eskalation zeichnete sich bereits im Vorfeld ab. Schon seit Tagen kursierten Gerüchte in der Szene, dass dieses Banner, das Herzblut der Bayern-Fans, diesmal im Nürnberger Stadion auftauchen würde. Als rund 1400 Gäste-Anhänger am Samstagmittag mit zwei Sonderzügen am Hauptbahnhof ankommen, warten schon Hunderte Club-Fans im Bahnhofsgebäude. Ab Abgang zur U-Bahn prallen die durch Absperrgitter und dichte Polizeiketten getrennten Lager verbal aufeinander. „Wo ist Eure Fahne hin“ provoziert das Club-Lager ein ums andere Mal. „2. Liga – Nürnberg ist dabei“, antworten die Gäste – und bekommen promt „Lieber 2. Liga als ein Bayern-Schwein“ zurück.

Die Sicherheitskräfte haben sich vorbereitet. Mehrere Hundert Beamte von USK und Bundespolizei begleiten den Münchener Tross hautnah. Feuerlöscher und Ohrstöpsel haben die Beamten bei sich, sogar die auffällig gelb gekleideten Rettungssanitäter der Bundespolizei tragen Helme. „Steine und Flaschen fliegen auch bis zu uns“, sagt einer der Polizei-Sanis. Wie zur Bestätigung knallen einzelne Böller, gehen rot-weiße Rauchbomben am Bahnsteig 6/7 auf, kaum dass der erste Münchner Sonderzug die Schlachtenbummler ausgespuckt hat. „Hurra, hurra, die Bayern sind jetzt da!“, skandiert der Tross, der von Polizisten hautnah in die U-Bahn-Sonderzüge geleitet wird.

In der Königstorpassage regieren derweil die Club-Anhänger – und das friedlich. 2:1 für den Club tippen einige rot-schwarz ausstaffierte Jungs, die sich im Bistro „Metropolitan“ warmtrinken. Naja, 2:1 für die Bayern sei realistischer, heißt es gleich darauf. „Aber bitte kein 0:5!“ Auch vor dem Stadion zeigen sich die meisten Club-Anhänger entspannt. Während in „Noahs Beach Garden“ neben der Eisarena an dicht besetzten Biertischen gefachsimpelt wird, filmt das „Club-TV“ in einem kleinen offenen Zelt am Max-Morlock-Platz die Liebesschwüre von Fans. „Ich bereue diese Liebe nicht, denn Grünweiß steht mir nicht“, verkünden Nick und Fabian (beide zwölf) vor der Kamera im Chor. „Ich finde den Club ganz toll“ sagt Max. „Aber die Bayern noch mehr“, ergänzt der Fünfjährige, kaum dass die Kamera aus ist – und erntet allgemeines Gelächter.

Schlachtgesänge zwischen den Ultra-Lagern

Die Anspannung vor dem viel diskutierten „Südgipfel“ ist eher unterschwellig fühlbar. Bayern-Anhänger, die zwischen Morlock-Platz und Arena mit Fan-Schals zu den Einlasstoren für die Haupttribüne spazieren, werden von Polizeibeamten schnell auf die Nürnberger Ultra-Grüppchen hingewiesen, die Münchner Devotionalien „nicht so gerne sehen“, sagt ein Beamter. Und übereifrige Mitarbeiter des Stadion-Ordnerdienstes versuchen einen Pressefotografen dazu zu zwingen, Fotos von den Fan-Kontrollen in den Zugangsbereichen zu löschen – vergeblich.

Der Stadion-Innenraum verwandelt sich derweil zur Löwenarena, je mehr sich die beiden Fan-Kurven füllen. Während auf der Haupttribüne Club- und Bayern-Anhänger friedlich nebeneinander sitzen, rollen zwischen den Ultra-Lagern beider Seiten Schlachtgesänge hin und her. Die Münchner in der Südkurve gebärden sich ausnehmend aggressiv, ganz klar. Aber aus der Nordkurve kommen auch immer wieder Provokationen. Etwa das Zitat des legendären Zlatko „Tschik“ Cajkovski: „Clubfan war ich schon, da habe ich noch die Bayern trainiert“ kurz vor dem Anpfiff. Und dann das geraubte „Südkurve“-Banner nach rund 75 Spielminuten.

Gemessen daran passiert nach dem Spiel erstaunlich wenig. Natürlich, die schäumende Wut von einigen Hundert Bayern-Fans über die Banner-Schmach muss die Polizei bändigen. Ebenso wie den Adrenalinspiegel von annähernd 30 Club-Anhängern, die wenig freundliche Körperkontakte zu München-Fans suchen wollen. Doch unter dem Strich dokumentiert die Polizei lediglich vier Strafanzeigen gegen Clubberer wegen Widerstands sowie den blutigen Kopfstoß eines Gastes gegen einen Club-Fan. Neun allzu stark alkoholisierte Fußballfreunde erleben die Partie außerhalb des Stadions. Und ein Münchner lässt sich bei den Zugangskontrollen mit Feuerwerkskörpern erwischen.

Dass es bei solchen Lappalien bleibt, ist der konsequenten Linie der Sicherheitskräfte zu danken. Rund 150 sichtlich gewaltbereite „Schickeria“-Mitglieder und wohl 250 Mitläufer verfrachtet die Polizei nach der Partie im Schneckengang und unter „Manndeckung“ geschlossen zu zwei U-Bahn-Sonderzügen ab dem Messezentrum. Über die massiven Absperrungen im Hauptbahnhof hinweg fliegen nochmal die Verbalinjurien zwischen Club- und bayern-Anhang. Pünktlich um 19.10 und 19.13 Uhr fahren die Regionalzüge dann gen München ab. Plötzlich hat sich die aggressive Atmosphäre verflüchtigt.

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