Cyber-Kriminalität: Die unsichtbaren Täter

3.1.2015, 05:57 Uhr
Einkäufe, Bankgeschäfte, Partnersuche: Das Internet nimmt immer größeren Raum ein im Alltag. Der Nachteil: Auch die Kriminalität verlagert sich weiter ins Netz.

© Sebastian Kahnert (dpa) Einkäufe, Bankgeschäfte, Partnersuche: Das Internet nimmt immer größeren Raum ein im Alltag. Der Nachteil: Auch die Kriminalität verlagert sich weiter ins Netz.

Statistiken haben mit der Realität manchmal wenig zu tun. Was die bayerische Kriminalstatistik in Sachen Internetkriminalität ausweist, ist dann auch viel zu schön, um wahr zu sein. Für 2014 wird ein deutlicher Rückgang bei Betrügereien, Erpressungen und beim Ausspähen von Daten erwartet.

Diese frohe Botschaft kann sogar Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nicht so recht glauben, obwohl er sonst nicht müde wird, anhand der Statistik die bayerische Polizei über den grünen Klee zu loben. „Ich habe nicht die Zuversicht, dass das eine Trendwende ist“, sagt er auf einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium Mittelfranken. Der Grund? In der Statistik tauchen nur Delikte mit Tatort Deutschland auf. Und da liegt der Hase im Pfeffer: Internetkriminelle agieren oft grenzüberschreitend. Günter Younger geht sogar so weit zu sagen: „Cybercrime ist per se ein Auslandsdelikt.“

Günter Younger leitet das vor einem Jahr neu geschaffene Cybercrime-Kompetenzzentrum beim Landeskriminalamt. „Die Ermittlungen sind sehr komplex“, sagt er in einer ersten Bilanz. Er klagt darüber, dass die Befugnisse der Polizei aus einer Zeit stammen, in der das Netz noch nicht existiert hat. Es gebe „Defizite in der Rechtslage“. Digitale Spuren könnten nicht richtig verfolgt werden. Herrmann fordert deshalb erneut die Vorratsdatenspeicherung von mindestens drei Monaten, „um Internettäter aus ihrer Anonymität herauszuholen“.

Aber selbst wenn man eine Tätergruppierung im Visier hat, sind die Ermittlungen kein Selbstläufer. Die größte Schwierigkeit sei, mit anderen Ländern über verschiedene Zeitzonen hinweg, gleichzeitig Durchsuchungen durchzuführen, sagt Younger.

Frau ausgespäht

Manchmal gelingt das: Bei der Jagd auf Kriminelle, die den Trojaner „Blackshades“ verbreiten — ein Spähprogramm für Computer und Smartphones, das die Video– und Audiofunktion der Geräte heimlich aktiviert — wurden weltweit 300 Durchsuchungen durchgeführt. In Deutschland stand die Polizei bei mehr als 100 Kunden vor der Tür, die den Trojaner in den USA gekauft hatten. Zu den Tätern gehörten laut Younger zum Beispiel Männer, die gezielt die Smartphones ihrer Frauen infiziert hatten, um diese dann zu kontrollieren.

Ausspähen von Daten, Kinderpornografie, Mobbing, Stalking, betrügerische Bestellungen, Kontodatenklau – es gibt fast nichts, was es nicht gibt im Netz. Spionage und Sabotageakte werden ebenfalls digital gesteuert. Die Zahlen sind alarmierend: In den letzten zwei Jahren seien die IT-Systeme jedes dritten Unternehmens in Deutschland angegriffen worden, sagt Herrmann unter Berufung auf eine Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). Zur Polizei gehen längst nicht alle Firmen, weil sie einen Imageverlust fürchten, wenn die Attacke öffentlich wird.

Das Cyber-Kompetenzzentrum des LKA ist auch Ansprechpartner für angegriffene Unternehmen. Und es will sich neben Europol an einem internationalen Projekt zur Bekämpfung der Internetkriminalität beteiligen. Innenminister Herrmann sieht Bayern insgesamt gut gerüstet. Mittlerweile seien mehr als 300 Spezialisten im Kampf gegen Kriminelle im Netz im Einsatz. Dazu gehören auch Informatiker, die als Seiteneinsteiger eine spezielle Ausbildung durchlaufen. Nach Ende dieser Ausbildung sollen im Freistaat ab Mai 47 Cybercops ermitteln.

Die Stellen waren allerdings längst nicht so begehrt, wie das Ministerium gehofft hatte. Die freie Wirtschaft zahlt mehr, dort sind auch die Aufstiegsmöglichkeiten besser. Deshalb hinkt auch das Präsidium Mittelfranken bei der Einstellung hinterher. Hier arbeiten momentan vier IT-Spezialisten, neun sind das Ziel.

Anweisung an Streifen

Insgesamt kümmern sich in Mittelfranken rund 70 Männer und Frauen um Internetkriminalität: Kriminalpolizisten und Beamte der einzelnen Inspektionen. Seit August müssen auch Streifenbeamte kleinere Fälle von Internetkriminalität aufnehmen. Das ist dem einen oder anderen gar nicht recht, weil es zeitaufwendig sei und ganze Streifenbesatzungen binde, wie sie klagen. Polizeivizepräsident Roman Fertinger lässt das aber nicht gelten. „Bei den Dienststellen muss ein Veränderungsdenken einsetzen. Wir können es uns nicht leisten zu schlafen.“

Obwohl der Freistaat in Sachen Internetkriminalität aufgerüstet hat, liegt die Aufklärungsquote nach wie vor nur bei knapp 43 Prozent. Dazu kommen die vielen, vielen Taten, die gar nicht erst angezeigt werden. Es gibt ein hohes Dunkelfeld.

Das wird zumindest dann ein bisschen heller, wenn auch Auslandsstraftaten in die Kriminalstatistik einfließen werden. Das wird aber wahrscheinlich frühestens 2016 der Fall sein.

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